Im Irrgarten der Wanderlust

Von Michael (Text) und Franz (Fotos)   – Leute, wir verraten euch mal was: Das mit Abstand gefährlichste Wandergebiet Deutschlands liegt im Ruhrgebiet zwischen Marl, Datteln und Haltern! Wenn Napoleons Armee im Russlandfeldzug 1812/13 durch das Wegelabyrinth der Haard marschiert wäre, sie wäre nie, nie in Moskau angekommen. Auf 5500 ha geschlossener Waldfläche und 154 km Strecke bietet dieser Irrgarten der Wanderlust 1000 Möglichkeiten, sich zu verirren.

Im Jammertal, Großrichtung Dachsberg, biegen wir ein auf einen der 34 markierten Wege, von denen wiederum unzählige schmale Trampelpfade abzweigen, die das Herz des echten Wanderers höher schlagen lassen. Was gibt es Schöneres, als sich darauf durchs Unterholz und die mannshohen Farne zu schlängeln? Windwurf nach dem Sturm Ela zwingt uns schon bald auf eine Ausweichroute. Vorsicht ist immer noch angebracht sowie ab und zu ein sorgfältiger Blick nach oben auf Totholz in Kiefern, Buchen und Eichen.

Gibt es Wandergötter, die er anruft?

Aber so ist das in der Haard; wer nicht auf den breiten, bequemen Fahrwegen bleibt oder sich einer strengen Tourenplanung unterwirft, geht schnell in diesem grünen Bermuda-Dreieck verloren. Franz klappt seine Karte auf wie das neue Gotteslob (Gesangbuch der kathlischen Christen) und murmelt beschwörerische Formeln: Ixer, A-4-Raute. Gibt es hier Wandergötter, die er anruft? Sind es verlorene Seelen verirrter Wanderer, die umhergeistern, versprengte Markierungstrupps des SGV, die sich im eigenen Wegeverhau verfangen haben? (Anm. von Franz: Wer nicht übertreibt, schildert nicht anschaulich) Bald schon finden wir ein Grab 

„Ich kann es euch verraten – da ist Baumrinde drin”

Ist erst mal gut jetzt mit Flunkern. Eine umwerfend charmante Kita-Gruppe aus Datteln holt uns nahe Flaesheim wieder auf den Pfad zurück. Die Kinder sind auf Waldrallye und tasten sich, mit Schlafbrillen blind gemacht, mit kindlichem Eifer an einem gespannten Seil mit Säckchen entlang. Was ist denn darin, fragen wir neugierig. „Ich kann etwas verraten”, flüstert ein Kind, „in einem Säckchen ist Baumrinde drin.” Die ebenso charmanten Begleiterinnen der Kinder sind Umweltpädagoginnen, die die Rallye der Kita in Zusammenarbeit mit dem Verein Naturparkführer Hohe Mark anleiten.

Feuerwachturm auf dem Rennberg

Nur einige hundert Schritte weiter liegt immer noch Brandgeruch in der Luft. Wir erreichen eine riesige Feuerstelle, an der der Kohlenmeiler kokelte, der jedes Jahr Anfang Mai errichtet und angezündet wird. Brandgefahr spielt übrigens eine große Rolle in der Haard, weswegen wir den Feuerwachturm auf dem Rennberg (139 m) ansteuern. Und dort haben wir das Glück der Tüchtigen, oder, wie es der frühere Kollege Gorch Hunkel (Spitzname, ist ja wohl klar) aus Herne einmal sagte: „Smitz, guten Journalisten hilft manchmal auch der liebe Gott.” Redakteure sind wir nicht mehr, aber immer noch sowas von gut. Also, wir treffen oben auf Turmwächter Jörg Lukaszczyk (echter Schalker Name, vermuten wir mal), den wir im Vorjahr bereits besucht haben, und Revierförster Erhard Wodtke, die sich für unsere Fragen Zeit nehmen.

„Die Raucher sind uneinsichtig”

Lukaszczyk schiebt hier Dienst von April bis Ende September, jeden Tag von 11 bis 19 Uhr. Warum beginnt er seine Schicht erst um 11? „Weil dann der Publikumsverkehr einsetzt”, entgegnet er. Ja, genau: Die Brandgefahr geht von den Besuchern der Haard aus. „Die Raucher sind uneinsichtig und werfen ihre Kippen achtlos weg“, sagt er. Steigt irgendwo aus dem Blätterdach eine Rauchsäule auf, führt er mit einem Kollegen auf dem Feuerwachturm Farnberg eine Kreuzpeilung durch, um den genauen Brandort in einem der drei Reviere zu lokalisieren. Ortskundige Förster wie Erhard Wodtke lotsen die Wehrleute zur Feuerstelle. „Vergangenes Jahr gab es keine Feuer, zum Glück nicht”, sagt Lukaszczyk.

Kann man sich verlaufen? – Oja!

Die beiden Turmwächter des Regionalverbandes Ruhrgebiet (RVR) wechseln ihren Posten auf den Türmen übrigens aus gutem Grund nicht. „Sie kennen das Waldbild aus ihrer Sicht und erkennen – wie bei Original und Fälschung – jede Veränderung sofort”, sagt Forstamtsrat Wodtke. Ein Wechsel wäre also weniger gut.

Zeit für eine scheinheilige Frage. Kann man sich in der Haard eigentlich verlaufen? „Oha!”, antwortet Erhard Wodtke wie aus der Pistole geschossen, und gibt Feinheiten preis. Eine Joggerin verlor in der Dämmerung die Orientierung; sie fand zum Turm und rief die Polizei. Die wiederum fand nicht zum Turm und alarmierte den Turmwächter. Ende gut, ebenso wie im Fall einer hochschwangeren Frau, die Erhard Wodtke völlig aufgelöst aufgabelte. „Sie wollte nur mal eben spazieren gehen und hat sich verlaufen”, sagt er. In einem solchen, nicht gerade seltenen Fall, rät er, solle man in den Himmel schauen und wissen, wo Süden sei. Ach ja, und auf festen Wegen bleiben.

Wie Hänsel und Gretel: ohne Karte und Smartphone

Wer die Haard auf die ganz harte Tour erleben will, macht die Hänsel-und-Gretel-Variante: Ganz tief rein in den Wald, Karte wegwerfen, Smartphone und GPS-Gerät auch und durchschlagen – wohin auch immer…;-).

Franz_Michael_klein

 

Die Tour ist leicht und gut 13 Kilometer lang, Steigungen unerheblich. Auf den tiefen, sandigen Pfaden empfiehlt sich wegen Umknickgefahr ein knöchelhoher Wanderstiefel.

3 Kommentare zu “Im Irrgarten der Wanderlust

  1. Danke Franz, wundere mich gerade dass Du recht schnell geantwortet hast. Hatte in meinen Emails nichts erhalten und heute durch Zufall entdeckt. Hatte dieses Jahr dass Glück 3 männliche Schillerfalter zu finden. Wer suchet der findet :) Wichtig ist die Salweide! Da wo sie ist kann man ihn finden. 2 Schillerfalter in der Davert und 1 im Marl Sinsen am Waldrand. Genau dort wollte ich noch hin… Gernebachtal, Jammerte.. viele Grüße Lars :)

  2. Wo habt Ihr den den gr. Schillerfalter gesehen?
    Habe auch 1 gesehen und verteile gerade Salweidenstecklinge…

    • Hallo Lars,
      ich habe gerade die gpx-Datei unserer Wanderung in der Haard neu eingefügt. Ich vermute, dass wir den Großen Schillerfalter auf einem Sandweg in der Nähe des Jammertals entdeckt haben. Den genauen Standort kann ich nach sechs Jahren nicht mehr sagen.
      Viele Grüße
      Franz

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