Halden-Hoppen im Revier

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Hin und wieder ist es doch vorteilhaft, koa fix angstellter Redakteur mehr zu sein, weil: Man muss keine Rücksicht nehmen auf Vorgesetz/innen, Chef/inchen und deren Verständnis von „Leser/innennähe” und kann schreiben, was man will, etwa eine kritische Würdigung des brandneuen „Halden-Hügel-Hopping” (HHH) im Ruhrgebiet.

Ist schon mutig, es als „Das neue Bergwandererlebnis im Stadt-Landschaft-Raum des Vests” anzupreisen, denn wir reden hier von „Hochpunkten” bis „zu 110 Meter über Grund”. Wer denkt sich solche selbstbewussten Formulierungen aus?

„Wandern – nur noch per App”

Der Kreis Recklinghausen, Fachdezernat Halden-Hügel-Hopping, Kurt-Schumacher-Allee 1. Im Einzugsgebiet des Vests, also des nördlichen Ruhrgebiets, stehen gut 20 Bergehalden aus der Zeit des Bergbaus. Viele von ihnen sind seit langem begehbar, zurückerobert von Mensch und Natur, bestückt mit Kunst, Technik oder anderen Anziehungspunkten. Mit dem HHH wagt sich der Kreis als Projektträger – übrigens sehr wagemutig – in nichts anderes als die ausschließlich „digitale Zukunft des Wanderns nur noch per App” (Franz). Denn Karten und Wegweiser zu den zwölf Thementouren mit 150 virtuellen Erzählstationen gibt es nur im Netz, nicht in der wirklichen Welt und am Wegesrand. Die schlenderer.de, als Speerspitze der deutschen Wanderbewegung, haben selbstredend die Runde CK, „Castroper Kohle und Kelten”, zweimal unter unterschiedlichen Voraussetzungen getestet.

Kein Streckenhinweis, nirgendwo

Beim ersten Mal stehe ich am Haus Goldschmieding in Castrop-Rauxel und suche erfolglos einen zarten Hinweis auf die 6,8 Kilometer lange Tour. Nichts. Nada. Notting. Die HHH-App für iOS-Smartphones war noch nicht erhältlich, aber immerhin konnte ich über die Seite www.halden-huegel-hopping.de respektive diese hier die gpx-Daten der Wanderung in die App des Wanderkartenherstellers Kompass herunterladen. Und mäandre, auf der Suche nach dem Weg, um Haus Goldschmieding wie die Katze um den heißen Brei. Als hier noch vom Gault-Millau geadelte Haubenköche am Herd wirkten – wir lassen die Bergbauvergangenheit sowie den irischen Vorbesitzer und Zechengründer William Thomas Mulvaney (1806-1885) mal außen vor, haben meine Frau und ich einen großen Batzen unserer ersten Festanstellungsgehälter in gutes Essen und gute Weine investiert.

Was ist mit den „analogen” Wanderern?

Aber verflixt! Allein die Darstellung der Tour in fremden Karten-Apps wie Kompass funktioniert dort mangels Auflösung nur unzureichend. Weil ich die Ecke kenne und sowieso auf richtige Karten schaue, navigiere ich mehr schlecht als recht und fluchend (Kopfgeburt, nichts beschildert, waren die „Designer” der Wanderung eigentlich selbst mal draußen?) über die gar nicht mal schlechte Runde und frage mich, warum man sehr, sehr viele „analoge” Wanderer nicht mit einer ordentlichen Beschilderung an dieser Runde teilhaben lässt.

Neustart mit der just veröffentlichten HHH-App auf dem Handy (Hinweis: Im iTunes-App-Store ist das Progrämmchen nicht unter Halden-Hügel-Hopping oder HHH zu finden, wie man annehmen könnte, sondern unter dem Namen der Programmier-Firma Eftas oder unter Halden-Hügel-Navi; für Android-Handys gibt’s das Navi hier). Die HHH-Karte auf dem Handy löst präziser auf, zeigt kleinste Wege und den jeweiligen Standort des Trägers an, Kursabweichungen lassen sich schnell korrigieren. Nachteil: Du hast das Ding ständig in der Hand und kommst dir vor wie jene SGV-Wanderführer, die vor zehn Jahren ihre GPS-Geräte wie eine Monstranz vor der Gruppe hertrugen.

Hammerturm und Bergbeamtenhaus

Aber jetzt erzählen wir mal, was wir allein oder zu zweit gesehen haben. Den Hammerkopfturm von Erin, Schacht III, der 1994 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) mit einem keltischen Baumkreis umpflanzt wurde; das repräsentative Bergbeamtenhaus in seiner unmittelbaren Nachbarschaft; die redselige Hundehalterin mit einem jungen, langhaarigen Altdeutschen Schäferhund, 35 Kilo schwer, ihr letzter Hund vor dem Rollator, bedauert sie, 10 Jahre gehe ich noch mit ihm. Ich lerne: So ein Hund, selbst wenn er groß ist, hält auch nicht soo lange Zeit.

„Ist ja wie Kino!”

Der Wurzelpfad hinunter durch den Wald parallel zur Dorlohstraße ist schön und Franz reißt sich zu einer lobenden Bemerkung hin: „Für ne Stadtwanderung nicht die schlechteste!” Gegenüber am Hang stehen blau angemalte Betonwellen (Relikt aus der IBA-Zeit) herum und die HHH-App weiß: Das Rinnsal neben uns ist der Deininghauser Bach. Weitere Angaben rückt die jetzt arg ruckelnde App nicht mehr heraus, schlechter Empfang (Telekom LTE) kann es nicht sein, auch am Wassertempel aus Bergbaurohren verweigert sie die Aussage an der virtuellen Erzählstation. Wir erfreuen uns dennoch am Sonnenlicht, das in einem glücklichen Moment vom Wasser mythisch unters Kuppeldach reflektiert wird, feuern ein weiteres Lob ab („Ist ja wie Kino!”) und hoppen hoch zur Halde Schwerin mit der V2A-Stahl-Sonnenuhr des heimischen Künstlers Jan Bormann. Hüpf, wenn du auf der Halde bist!

Die Zukunft des digitalen Wanderns ruckelt noch

In Schwerin mit seinen alten Bergarbeitersiedlungen tobt das echte Ruhri-Leben. Vier Wagen vor einer Straßenkreuzung, aus einem hupenden Wagen ganz hinten hechtet eine aufgebrachte Frau und sprintet zum ersten Fahrer. „Mach sofort den Motor aus! Warum machst Du nicht den Motor aus, wenn ich es dir sage?“ Vielleicht, weil er der Fahrer ist und nicht einfach den laufenden Verkehr aufhalten kann? Im Schlendertempo entferne ich mich von der turbulenten Szene.

Zeit für ein Resümee:
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Die Tour/en sind klasse und informativ, bauen aber auf bereits länger vorhandenen Strecken auf.
• Beim Halden-Hügel-Hopping wurden mit viel EU-Geld bekannte Wege wiederverwertet fürs Netz.
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Die Zukunft des digitalen Wanderns ruckelt noch, die HHH-App läuft nicht immer flüssig.
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Wenn Du nicht netzzugetan bist und kein Smartphone hast, bleibt dir die Welt des digitalen Wanderns verschlossen.
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Warum machen wir nicht auch ne Schlenderer-App? Weil wir sonst hier nichts mehr zu erzählen und zu fotografieren hätten.
Franz_Michael_klein

 

 

Die Tour wurde heruntergeladen von o.a. Quelle:

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