Begehbare Heimatkunde

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Schon die Ankunft ist ein Erlebnis für sich: Der verwahrloste Bahnhof in Hagen-Dahl ist eine Kreuzung aus Gleisschwellen-Recycling und Reichsbahn-Design und man ist nicht soo ganz sicher, ob der alte Pferdekarren draußen vor der Laderampe nicht zu den aktuellen Weitertransportmitteln zählt. Das kann man dem Ort, bei dem wir zu unserer Tour starten, natürlich nicht zur Last legen, deshalb sagen wir: Thank you for … Deutsche Bahn! Aber da, wo wir hinwollen, wissen die Leute genau, wie man Werte bewahrt.

Zunächst einmal verschwinden wir im Grün, denn das ist ein Vorteil im steilen Volmetal: Hier bist Du schnell abseits vom Geschehen. Der X6 bringt uns zügig auf die Volmehöhen, im weiteren staunen wir über die erhabene Abgeschiedenheit, die signalgelbe Wucht des Ginsters und seinen gerbstoffherben Duft: Hagen blüht, bzw. die Höhen über der Stadt.

Museum für alte, beinahe vergessene Techniken

Franz findet dann nach etlichen Kilometern auch noch einen vergessenen, zugewucherten und versumpften Steig rechts hinunter und wir staunen, dass wir auf einmal schon vor dem Eingang des Freilichtmuseums Hagen stehen. Ausgeschrieben heißt es Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik, und zwar für alte, beinahe vergessene Fertigkeiten unserer Vorvorväter. Tauchen wir also kurz ein in ein Stück begehbare Heimatkunde, denn bis in alle Winkel erkunden lässt sich das weiträumige Areal im Hagener Mäckingerbachtal an einem Nachmittag kaum.

„Die Wienerwandbesen sind für Stuckwände”

Fellgerberei in der Lohmühle, Kuhschellenschmiede, Bürstenmacherei, geöffnet – da gehen wir rein. Es gibt Tischhandfeger, Spinnenfeger, Haarbürsten, Rosshaarbesen mehr als einen Meter breit, Wienerwandbesen. „Sie sind rundherum eingefasst, um Stuckarbeiten nicht zu beschädigen”, erläutert Helmut Schnepper, der auch die Stuhlflechterei beherrscht. Peddigrohr, das man dazu benötigt, kommt aus dem Fernen Osten und wird aus Rohrpalmen gewonnen.

Es folgen Gelbgießerei, Kupferhammer (hier dümmelt ein Holzfeuer in der riesigen Esse und erfüllt die Werkhalle mit würzigem Holzrauch), Feilenhauerei, Bohrerschmiede, Beilschmiede und viele andere mehr, rauchschwarze Stätten, die nach Öl, Kohle, Schweiß, mithin viel harter, körperlicher Arbeit riechen und die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe aus der Region zusammengetragen und vorbildlich erhalten hat.

„Dem Schmiedehammer darfst Du nicht zwischengeraten”

Das Hammerwerk Ante ist, wie der Name schon sagt, wirklich ein Hammer, denn hier wirkt ein Schmiedeexperte und Unterhaltungstalent in einer Person. Schmied Stefan Austermann bearbeitet gerade eine Schulklasse, die gebannt an seinen Lippen hängt. Er sagt: „Lernt keinen Beruf, der euch keinen Spaß macht, denn dann ist es nur ein Job!”

„Was war das Schwierigste, was Sie gemacht haben?” – „Ein Katana, ein japanisches Langschwert aus Damaststahl. Der Meister aus Japan stellt mit seinen Gehilfen nur sechs Exemplare im Jahr her. Schmieden ist ein langwieriger Prozess und hat viel mit Geduld zu tun.”

„Ist Ihnen mal was passiert?” – „Nein. Ein Schmiedehammer ist dazu da, Stahl zu verformen. Da darf man nicht zwischengeraten.”

Wir lernen: Das hier ist großartiges, gelebtes und lebendiges Infotainment nicht nur für junge, neugierige Menschen und ganz alte, Großeltern mit Enkelkindern.

Landbier und Kottenbutter mit Mettwurst

Wir verlassen den Entertainer an der fauchenden Esse und bestaunen in der Windenschmiede den Kiesboden, sorgfältig geharkt wie in einem Zen-Garten, lugen in die Papierherstellung (brauchen wir als Blogger als Material für den Informationstransport nicht mehr). Hinterm Sensenhammer, hier werden Klingen gebreitet, gedengelt, getupft, poliert und geschärft, ein Kulturschock: Die saftiggrüne Wiese wird mit einem Traktor und einem Aufsitzmäher gestutzt;-)

Fachsimpelei in der Bäckerei über Sauerteigführung und -verarbeitung. Als Sohn eines Bäckers – wer uns länger besucht weiß, dass Franz ein Müllerssohn ist -, lerne ich als Selbermacher: den Roggensauerteig für mein Landbrot muss ich schneller verarbeiten.

Oben im Dorf, einem herrlich alten Ensemble, locken selbstgebrautes Landbier, Kottenbutter mit Mettwurst oder eine Schmalzstulle. Ja, wenn Du so eine Einkehr auf deiner Strecke wüsstest! Doch wir haben leider eigene Kniften.

Zweistimmiger Beschluss: Wir waren nicht zum letzten Mal in dieser Ecke, aber … machen wir uns nicht mitschuldig an der Erderwärmung, wenn wir die ökologische sinnvolle Anreise mit Bahn zu Haltestellen wie Dahl oder Oberhagen nicht empfehlen?

Franz_Michael_klein

 

Die Strecke wurde aufgezeichnet mit der iOS-App outdooractive:

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