Es geht endlich in die Berge

Ein Mann, ein Projekt: zu Fuß vom Schwarzwald durch die Schweiz zum Lago Maggiore. Hier Geralds Wandertagebuch, Tag 4: von Flühli nach Hasliberg (ca. 40 km, 1800 Hm, 1500 m runter).
Endlich geht’s in die Berge! Juchhu! Nach einer erholsamen Nacht in der Dachkammer von „Poscht“-Bäckerin Katrin schaue ich gespannt nach draußen. Der nächtliche Regen hat aufgehört, aber die Gipfel sind immer noch dick in Wolken eingepackt. Alpen-Staulage.
Ich bin um Viertel nach 7 der einzige Mensch, der im Dorf Flühli unterwegs ist. Es ist Fronleichnam. Schon bald stapfe ich durch nasse Almwiesen, die Halme klatschen vor meine Hosenbeine.
Bis zum Sattelpass sind’s noch 700 Höhenmeter. Am Waldanfang tummeln sich ein paar Bergsalamander. Sie sind zwar nur halb so groß wie Feuersalamander, aber genauso tollpatschig. Und auch nicht wirklich schön. Der Wald wurde hier übrigens ebenso wie der Schwarzwald abgeholzt und für die Glasmanufaktur verfeuert. Die Erosionsspuren im Bachbett sieht man bis heute, weil die Stämme mit einer Flutwelle zu Tal geflößt wurden.
Eine neumodische Belgische Blaue
Der jüngste Eingriff des Menschen in diese Landschaft ist ein Jahr alt. Jeder Premiumwanderweg in den Bergen braucht eine Hängebrücke, Flühli also auch. Auf schwankenden Gitterrosten geht’s 45 Meter hoch über die Schlucht. Weiter oben wartet eine Hochalm mit den verschiedensten Kuhrassen von Holsteinern über Hinterwälder bis zu Schweizern und  Eringern (Kampfkühe!), sogar eine neumodische Belgische Blaue ist dabei. Dann verschluckt mich wieder der Nebelwald. Von dem hatte Bäckersfrau Katrin gesprochen, dicke moosbewachsene Felsen liegen herum und verbreiten eine mystische Atmosphäre.

Von der Wolke verschluckt

Nach knapp zwei Stunden bin ich oben am Sattelpass, 1600 m. Und die Geschichte holt mich ein. Internierte Soldaten aus Russland und Polen haben hier einen Weg zu den zahlreichen Almen angelegt, den Obwaldener Höhenweg über zehn Almen und Hochmoore. Erst kürzlich saniert, verdient er glatt die Note eins. Bis zum Glaubenbielen-Pass, ein kleines Sträßchen, laufe ich allein. Auf der anderen Straßenseite geht es gleich weiter bergan, nochmals 700 Höhenmeter zur Höch Kumme und dem Wilerhorn. Ich bin längst wieder von der Wolke verschluckt, so freut sich der Blick an den botanischen Farbklecksen am Wegrand. Es ist erstaunlich, wie schnell  sie nach der Schneeschmelze ihre Pracht entfalten.  Steinmänner sieht man häufig, aber auf mich wartet oben eine echte Steinfrau, ehrlich, ist sogar ein paar Köpfe größer als ich. Ein kleines Stück weiter dann das erste Schneefeld, knapp über 2000 m.
Einsplus für den Gratweg
Nun laufe ich auf einem Abschnitt des viel gerühmten Gratweges über dem Brienzer See, nachzulesen in „Die schönsten Gratwege der Schweiz“; er führt in zwei Tagen vom Brünigpass bis Interlaken. Genau im richtigen Moment reißt der Himmel auf und gibt den Blick auf den smaragdgrünen See im schönsten Sonnenlicht frei. Schnell ist die Kamera gezückt.
Jetzt steige ich noch auf das Wilerhorn, ehe es hinunter zum viel befahrenen Brünigpass geht. Nur zwei Minuten später verschwindet man auf einem tollen Waldweg, einem, den man auch nach über acht Stunden Strapaze noch gerne läuft, mit alten Buchen und Weißtannen und Findlingen vom Grimselpass aus der letzten Eiszeit! Einsplus. Herrlich! Eine knappe Stunde später finde ich mein Nachtquartier auf dem Bergbauernhof der Familie Willi in Hasliberg.

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