Jubiläum am Matterhorn

Von Gerald (Text) – Der 14. Juli 2015 ist ein Stichtag, dem die ganze Schweiz entgegenfiebert. In Zermatt läuft eine große Uhr am Bahnhof seit fast einem Jahr rückwärts, bis der große Tag erreicht ist: Jener Tag vor 150 Jahren, als zum ersten Mal ein Mensch den Gipfel des Matterhorns erreichte.

Was wäre die Schweiz ohne das Matterhorn? Das Wahrzeichen der Eidgenossen rückt derzeit noch stärker ins Rampenlicht. Vor genau 150 Jahren schaffte der Brite Edward Whymper mit zwei Bergführern aus Zermatt als Erster den lange für unmöglich gehaltenen Gipfel. Vier Berggefährten stürzten aber am Tage des Triumphs tödlich ab.

1Matter5

Der fatale Moment: Das Seil reißt, die Bergsteiger stürzen ihn die Tiefe. Gemälde von Gustave Doré, © Zermatt Tourismus

Es ist drei Uhr, als der Wecker die viel zu kurze Nacht am Wandfuß des Matterhorns beendet. Bergführer Dan ist schnell auf den Beinen. Bequem war die Nacht in einem Zelt ohnehin nicht. Aber die legendäre Hörnlihütte hat bis exakt zum Jubiläumstag wegen Renovierung geschlossen. Zermatt liegt tief unten, von schwarzer Nacht und Wolken wie in Watte eingehüllt, während oben die Sterne um die Wette funkeln. Das düstere Matterhorn scheint unerreichbar weit entfernt.

Besteigung „unmöglich”, hieß es lange

Fast wie zum Höhepunkt des alpinen „Goldenen Zeitalters“ im 19. Jahrhunderts, als die Briten die namhaftesten Gipfel der Alpen buchstäblich einsammelten. Nur die steile Pyramide des Matterhorns trotzte allen Besteigungsversuchen. „Unmöglich“, hieß es schon. Dabei war der Ire John Tyndall bereits bis auf 300 Meter an die Spitze herangekommen, und von der Südseite hatte auch der Italiener Jean-Antoinne Carrel lange Zeit nur ein Ziel: der erste oben zu sein. „Dieser Typ ist hier, dessen Leben offenbar vom Matterhorn abhängt“, soll Carrel über den ehrgeizigen Whymper gelästert haben.

Tödlicher Wettlauf auf zwei Gratschneiden

Am 14. Juli 1865 kam es dann überhastet zwischen den beiden Kontrahenten zu einem Wettlauf um Leben und Tod auf zwei unterschiedlichen Gratschneiden am Matterhorn. Nur Stunden entschieden über Erfolg und Pleite. Das Glück war letztlich auf Seiten des Briten; wenig britisch wurden die geschlagenen Italiener auch noch von oben durch Steine werfende  Sieger verhöhnt.

1Matter4

Geschafft! Oben! So sah Maler Gustave Doré den Gipfelerfolg. © Zermatt Tourismus

Das Schicksal schlug allerdings gnadenlos zu, als der junge Hudson stürzte und drei Seilgefährten mitriss. Nur ein Seilriss rettete Whymper und Vater und Sohn Peter Taugwalder, deren Gipfelerfolg teuer erkauft war. Die Leiche von Douglas ist bis heute übrigens unter der Nordwand verschollen. Das Dekret von Queen Victoria, kein weiteres edles englisches Blut am Matterhorn zu vergießen, bewirkte genau das Gegenteil. Der Berg erlebte einen wahren Ansturm und die vielen britischen Namen auf dem Friedhof von Zermatt zeugen noch heute davon, dass nicht jeder Versuch glücklich endete.

Abmarsch vom Base Camp um vier Uhr. Es ist noch keine fünf, als Bergführer Dan mit seinem Aspiranten an der Baustelle der Hörnlihütte (3260 m) vorbei läuft. Wenig später werden Gurte und Seile angelegt, weil senkrechter Fels  am Wandfuß den ersten Prüfstein darstellt. Soll niemand denken, der Schweizer Grat sei ein Spaziergang. Im Lichtkegel der Stirnlampe suchen die Hände nach Greifbarem. Zum erstmal geht der Atem schneller.

„Einer der schwierigsten Klassiker der Alpen”

Heute versuchen sich bis zu 4000 Alpinisten aus aller Welt pro Jahr an dem steilen Zahn. Nur jeder Dritte steht tatsächlich oben, wie der Hüttenwart und „Hüter des Matterhorns“, Kurt Lauber berichtet. Nicht so im vergangenen Jahr, als ein nasser Sommer die Saison gründlich verhagelte und laut Bergführerbüro bis Mitte September gerade mal zwei Dutzend Seilschaften den Weg bis ganz oben zum magischen Punkt 4478 schafften. „Das Matterhorn ist einer der schwierigsten Klassiker der Alpen“, heißt es dazu nüchtern  im Prospekt des Alpin Centers. „Der Auf- und Abstieg erfolgt ausschließlich in Fels und Eis und setzt ausgezeichnete Fitness und Erfahrung im Felsklettern mit und ohne Steigeisen voraus.“ Rund 1800 Schweizer Franken kostet die Bergführung Zermatter Spezialisten.

Bis zum Sonnenaufgang ist der Aufstieg dann aber doch relativ leicht. In einem Labyrinth von Bändern und Stufen, Rinnen und Pfeilern geht es leichter als gedacht auf 3800 Höhenmeter, wo Dan wegen Vereisung die Steigeisen anlegen lässt. Weiter. Aber dann! Eine senkrechte Felsplatte führt zum hölzernen Notbiwak (4000 m), vierter Grad mit Eisen an den Füßen! Entsprechend zerschrammt sieht der Fels aus. Hinter der Hütte ein weiteres Wändchen. Der Puls hämmert. Bröselige Felsbrocken drohen überhängend von oben. Sie spielen eine ungute Rolle im Bergbuch des Berghüters Lauber.  Nicht weiter nachdenken, sondern weiter klettern.

Das Gipfeldach bäumt sich gnadenlos  auf

Seit über einem Jahr bereitet sich Zermatt auf das große Jubiläum vor, lässt eine Uhr schon am Bahnhof die Stunden rückwärts zählen. Zahlreiche Festivitäten und Events, Aktionen und sogar ein Freiluft-Theaterstück, „The Matterhorn Story“, wird geboten. Dabei ist der Blick der Zermatt-Besucher ohnehin wie magisch auf den markanten Monolithen geheftet. Der Nimbus des Hörnlis ist einzigartig. Einmal wenigstens am Wandfuß stehen, lautet das Credo Tausender Bergfreunde.

Weiter oben wird die Luft dünner. Nach der Besteigung des roten Turms wird die Gipfelschulter erreicht, ein äußerst steiles Schneefeld, das zu zwei Seiten ins bodenlose Nichts abfällt. Hier darf man sich wirklich keinen Ausrutscher leisten, und die Nordwand schickt ihren frostigen Hauch herauf. Man ahnt schon, wie es weitergeht: Das Gipfeldach bäumt sich gnadenlos senkrecht über einem auf. Auch wenn hier heute über 100 Meter Fixseile hängen, an denen man sich wie an den Tauen einer Turnhalle hochhangelt, da braucht man noch ordentlich Saft in den Armen. Alle Achtung vor den Erstbesteigern vor 150 Jahren, die diese Hilfe nicht hatten!

Die meisten Opfer stürzen beim Abstieg

Unwillkürlich muss man schmunzeln, welche Blütenträume die Phantasien der Ingenieure Mitte des 19. Jahrhunderts trieben. Da wollte ein Elsässer Industrieller tatsächlich eine Standseilbahn mit einer Steigung von 75 Prozent aufs Horn bauen. Die Idee verschwand aber genauso wie der Plan, durch einen Gasballonlift am Fixseil den bequemen Aufstieg zum Gipfel  für Jedermann zu konstruieren.

Endlich lehnt sich der Gipfelaufbau etwas zurück. Man sieht noch eine makabre schwarze Puppe über sich und denkt schon an eine Mumie, doch es ist nur der Heilige Bernhard, der einen am Schweizer Gipfel begrüßt, während das Kreuz auf der italienischen Seite steht. Über einen fußbreiten Wächtensteg ist man nach sechs Stunden also wirklich oben und genießt die Vogelperspektive zum Mont Blanc und zur Monte Rosa, zur Mischabelgruppe und zum Piemont, aber nicht zum Wandfuß. Das Matterhorn ist einfach zu steil. Volle sechs Stunden dauert es auch nochmal nach unten, weil man sich auf keinem Meter einen Fehler erlauben darf. Die meisten der inzwischen 500 Opfer am Berg starben beim Abstieg.

Bergguru Messner verstand keinen Spaß

Nur gut, dass es da oben auch mal lustig zugeht. So, als ein Fernsehteam den Bergguru Reinhold Messner ordentlich auf die Schippe nahm. „Verstehen Sie Spaß?“ hieß es an einem Kiosk, der Messners Literatur anbot. Der verstand natürlich keinen Spaß und erklärte: „Ich schreibe keine Bücher mehr, wenn der Unfug nicht aufhört.“ Der Ulk-Kiosk ist weg. Mal sehen, was die nächsten 150 Jahre am Matterhorn bringen.

Gerald_80x80

Info:
Informationen und Beratung Schweiz Tourismus:
Telefon 00800 100 200 30 (kostenlos)
www.MySwitzerland.com,
www.zermatt.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*
Website