Dem Licht entgegen

Von Gerald (Text und Fotografie) – Urlauber kennen den Schweizer Belchen nur durch den Tunnel, der auf der Fahrt in den Süden unter dem schönen Jura-Gipfel hindurchführt. Kurt und Kurt und Lenni, alle drei felserprobte Berggänger aus dem Kreis Lörrach, zeigten dem zugezogenen Bergfreund aus Gresgen die Schönheiten abseits der Schweizer A2.

Vor dem Belchen-Tunnel ahnte man bereits die November-Sonne, aber auf der anderen Seite steckt der Wagen des Quartetts dann tief in der Wolkensuppe des Schweizer Mittellandes. Kurt erwägt kurz, die Tour zu ändern und bleibt dann aber doch dabei. Gestartet wird ganz in der Nähe der Ausfahrt Egerkingen – und zwar mitten im ungemütlich kalten Nebel von Hägendorf (434m). „Wie heißt das Dorf?“ Hägendorf!

„So glatt kannst Du den Stein nicht spitzen”

Geparkt wird am coop-Laden, und dann führen die gelben Wanderschilder auch schon in die „Tüfelsschlucht“, also die Teufelsschlucht, die die Wanderer bereits nach wenigen Gehminuten verschluckt. Eine enge Klamm. Moosbewachsen mit Flechten und Farnen. Senkrecht bis überhängend ziehen die Kalkfelsen über uns nach oben und verlieren sich im nebligen Weißgrau. Schon bald ist der Canyon so eng, dass Sprossenbrücken über den plätschernden Bach führen. „Über sieben Brücken musst Du geh’n“… Teufel, lass mich bitte schnell diesen Ohrwurm wieder vergessen. Zum Glück gluckert der Bach lauter, mal murmelnd, mal gurgelnd. Fast als wären wir in den Gedärmen von Mutter Erde. „Hast Du die Gletschermühle gesehen?”, fragt Kurt. „So glatt kannst Du den Stein nicht spitzen“, sagt der Alemanne und meint hauen. (Während „hauen“ hier sägen meint…)

Dass wir bald die Autobahnbrücke der A2 unterqueren, stört nicht weiter, weil die Transitstrecke gnädig im Nebelvorhang verborgen ist. Eine Kasse bittet um ein paar Fränkli für die Unterhaltung des Wegs, der an Wochenenden scheinbar gut frequentiert ist. Wir kommen vorbei an Grillplätzen, an einem natürlichen Springbrunnen und an einer ganzen Garnison von Steinmännern. Die Wanderer im Alter von 65 bis 77 genießen den Ausflug an einem ruhigen Wochentag – und zeigen, dass man auch im gesetzten Schlender-Alter nicht schleichen muss.

Der Weg führt genau durch die „Baergwirtschaft”

Der jüngere Kurt gibt das Tempo vor und springt wie ein junges Füllen durch die Tüfelsschlucht. Als die unterhaltsame Bachmusik auf einmal schlagartig endet und wir auf einer Alm stehen, meint er  stolz: „Wir sind gut in der Zeit und haben fast eine halbe Stunde herausgeholt.“ Ja, früher, da haben sie noch den halben Jura-Höhenzug an einem Tag bewältigt!

Die entscheidende Frage ist jetzt: „Wann reißt der Himmel auf?“ Als wäre es inszeniert, lugt das Himmelsgestirn genau auf Höhe des Allerheiligenberges (860m) durch das Grau. Und genau da liegt die „Baergwirtschaft“ von Ruedi Spring und Klara Kummer. „Gemein“, findet Lenni, „der Weg führt genau durch die Gastwirtschaft.“ Und deshalb führt auch kein Weg daran vorbei, dass auf eine Tasse Kaffee Creme eingekehrt wird.

„Da oben gibt es eine einmalige Rundumsicht”

Mit schlimmen Leidensgeschichten von Rauchern geht die Wanderung bald weiter vorbei an einer Lungenklinik. Die Klinik bleibt links am Weg liegen. Aber nicht jene seltsame Skulptur, die genau am Ufer des anbrandenden Wolkenmeeres mitten auf einer Weide steht. Was macht diese rostige Riesenspinne dort auf dem Berg? Kurt, der sonst alles über den Jura weiß, muss passen. Steht aber schon ewig da, die
skurrile Tarantula.

Gut, dass wir jetzt aus dem Nebel heraus sind. Jetzt wird’s interessant. Am anderen Ufer des weißen Wolkenmeeres ragt nämlich schon der Belchen heraus, unverkennbar mit seiner Schweizer Flagge am Gipfel. Davor liegt aber noch die Gwidemflue (1071m) und die sollten versierte Schlenderer nicht am Wegesrand liegen lassen. Also, steil über einen Grat hinaus, sogar sehr steil, am Ende greifen die Wanderer auf glitschigem Geläuf sogar nach Wurzeln für sicheren Halt, ehe sie plötzlich ganz oben sind und auf einmal weit blicken können. Bis zum Alpenhauptkamm geht die Sicht und belohnt für 630 Aufstiegsmeter. Der Gwidem wartet mit einem schneidigen Gipfelgrat auf, an dessen Ende sogar eine zehn Meter lange Eisenkette den sicheren Abstieg ermöglichen muss. Sehenswert sind da oben auch die Bunker aus dem ersten Weltkrieg, die jetzt zu schlichten Wochenendhäuschen umfunktioniert sind.

Im Norden der Elsässer Ballon und der Schwarzwälder Belchen

So, jetzt aber nach zweieinhalb Stunden Gehzeit der Anlauf zum Zielgipfel, dem Belchen (1098,6m). Kurt schwillt nochmal kurz der Kamm, als er zwei abgelegte Mountainbikes am Wegrand sieht, weil Mountainbiker bekanntlich alle Wege ruinieren, aber dann ist er auch schon die Stufen zum Gipfel raufgespurtet. Denn er weiß: „Da oben gibt es eine einmalige Rundumsicht.“ In der Tat. Im Norden erkennen wir den Elsässer Ballon und den Schwarzwälder Belchen (1414m). Aber viel imposanter ist natürlich die Alpenhauptkette, die hinter dem Nebelmeer in den blauen Novemberhimmel ragt. Ganz in der Nähe liegen zwei Kalkfelsen, der Ankenballen. Und das ist, der Sage nach, der Butterberg eines geizigen Bauern, der in schlechten Zeiten nichts von seinem Reichtum abgab und der dafür gestraft wurde, indem sich die Butter in Stein verwandelte.

Kurt weiß, wo der wärmste Picknickplatz an der Gipfelwand ist und gesellt sich unbekümmert zu dem eng umschlungenen Pärchen, das bereits auf dem Bänkle sitzt. Dort träumt ein jeder noch von diesem oder jenem Bergerlebnis, das er vielleicht auf einem der namhaften Felsriesen in Sichtweite überstanden hat. Dann heißt es schon wieder abtauchen ins Wolkenmeer. Vorhang zu. Noch ein paar interessante Effekte im Zwielicht, dann endet dieser einmalige Aufstieg aus dem November-Grau ins Licht.

Karte: Swisstopo, Landeskarte der Schweiz, 1:50.000, Nr. 224T, Olten.

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1 Kommentare zu “Dem Licht entgegen

  1. Schweizer Belchen,
    so so, da hat der Kurt wieder einen gefunden, der mit ihm auf der Flucht war.
    (Fluchtgeschwindigkeit gleich Wandertempo) das ist bei Kurt halt so!
    Es freut mich, dass Dir die Wanderung gefallen hat, der Bericht ist echt super !!!!
    Gruss Ewald

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