Landadelige Runde

Von Dorothe (Fotografie) und Michael (Text) – Es zeugt schon von einer gewissen Gewieftheit, an einem Traumsommersonntag im August NICHT um den Sorpesee zu wandern; die Seepromenade in Langscheid und ums Wasser herum ist an solchen Tagen übervölkert. Die eigentlichen Juwelen liegen ungeschliffen im Hinterland.

Allerdings: Richtig durchdacht war es nicht, in Langscheid zu starten. Wenn alle Tourismusgelder in die Seeinfrastruktur fließen, bist Du als Wanderer nur Nahurlauber 2. Wahl. Auf dem Rundwanderweg A2/L hinterm Ortsausgang liegt Schotter und lockerer Lehm unplaniert herum, Wegeauszeichnungen werden gerne noch nach Großvätersitte mit dem Stechbeitel ins Holz gestemmt und Relikte klugscheißender Waldpädagogik sind einfach nur ärgerlich.

Ein ruhiger, kraftvoller Ort

Welche wunderbare Gegend hier verborgen liegt wird man gewahr, wenn man von der Krähenbrinke kommend vom Pass der L544 oberhalb Langscheids in das malerische Tal des Melscheder Mühlenbaches eintaucht. Unter gigantisch dicken Eschen und Eichen – aus manchen Umfängen hättest Du drei mächtige Stämme machen können -, wandern wir auf Schloss Melschede zu.

Das barocke, dreiflügelige Gebäude liegt da, wie aus der Zeit geworfen, kantig und massig und träge wie der Schlosshund, der uns blinzelnd und regungslos zur Kenntnis nimmt, seitab ein wunderschöner Bauerngarten mit hoher Trockensteinmauer. Aus einem Wasserspeier vor dem Schlosseingang plätschert Wasser in den Brunnentrog, Vögel zwitschern, ansonsten ist hier gar nichts los. Gelegentlich finden im Melscheder Salon Konzerte für exklusive klassische Musik statt; der neue Besitzer, eine Industrie-Holding, will das kulturelle Engagement von Christoph Freiherr von Wrede beibehalten. Man kann auch vor landadeliger Kulisse heiraten. Angesichts des lärmigen Seetrubels in Langscheid ist es schade, dass aus dem Potenzial dieses ruhigen, kraftvollen Ortes nicht mehr gemacht wird. Eine angemessene Einkehr in der alten Scheuer vielleicht, vor der ein Tischchen und Sitzgelegenheiten einladend stehen. Das Gut ist in privater Hand, und spätestens da enden gutgemeinte Vorschläge, wenn die Besitzer andere Vorstellungen haben.

Noten von Rindvieh auf Strohunterlage

Wir lassen den mit englischer Strenge angelegten Park und das verschlafene Schloss hinter uns, freuen uns über den heckenartigen Waldmeisterbewuchs am Wegesrand, sichten Pilze (Täubling, Ziegenlippe, Rotfußröhrling), gucken vor der ebenfalls verschlafenen Melscheder Mühle mit ihrem Mühlenteich ein bisschen Jungbullenporno auf der Wiese. Landadelig ist auch der Duft, der uns vor Mellen umhüllt: Gülle, Silofutter, Noten von Rindvieh auf Strohunterlage.

Mellen hat sich blauweiß geschmückt: Schützenfest im Sauerland. Der Hofstaat glüht bei Sekt und Bier im Garten des amtierenden Schützenkönigs vor, eine Hofdame zeigt Tattoo auf freiem Rücken. Bettina Wulf? Bestes Wetter für ein solches Ereignis, dieser Tag wird werden.

Als Prinzessin in Sissi-Kleidern

Wir schnüren durch das Naturschutzgebiet Wacklum auf das Wasserschloss Wocklum zu, zwei fette Marder vor uns auf dem Weg hoppeln ins Unterholz. Auch Wocklum liegt träge im sommerlichen Licht, in der Gräfte gleiten schwarmweise Rotfedern umher. Auf dem weitläufigen Gelände derer von Landsberg-Velen wird seit mehr als 65 Jahren das legendäre Reit- und Dressurturnier Balve Optimum ausgetragen. Der alte Herr verstarb 2012, heute ist aus dem bewohnten, öffentlich nicht zugänglichen Barockgebäude eine „Location” geworden und vieles möglich: Fotos in Biedermeier-Kleidung, Hochzeiten, Privatdinner, Filmaufnahmen, sich einen Tag wie Prinzessin in „traumhaften ,Sissi-Kleidern’” fühlen. Diese Kindheitsphase haben wir hinter uns und, nach einem Blick aufs Wettkampfgelände, auch das Schloss.

Ach Junge, lern doch mal Einparken

Wenig später wandern wir parallel zur Straße auf der Waldroute wieder auf die Melscheder Mühle zu, unser Plan, ein paar hundert Meter dahinter rechts zur Krähenbrinke hoch abzubiegen, endet im verwachsenen Unterholz. Hier ist mit sehr großer Sicherheit etwas ungepflegt: Wegeauszeichnung und -offenhaltung respektive die Aktualität der normalerweise verlässlichen digitalen Wanderkarten von outdooractive und Kompass. Mangels PS-starker und zufällig zur Hand gereichenden Motorsäge treten wir den Rückzug an und laufen noch einmal an Schloss Melschede vorbei. Auch nicht schlecht.

Noch etwas Schmäh zum Schluss. Langscheid und seine rührige Sauerland-Riviera muss für Anwohner an solchen Ausflugstagen die Hölle sein: Sonntagsfahrer, -ausflügler, Motorradfahrer im Sekundentakt oder Blechschlange im Schritttempo. In unserem Dortmunder Kiez lassen die jungen Stenze aus dem Wohnblock nur gelegentlich ihre vom ersten, hart verdienten Geld aus Drogen- und Mädchenhandel (ein Scherz) gekauften Luxus-12-Zylinder lautstark röcheln und heizen das Viertel rauf und runter, um dem Clan zu imponieren; der Typ mit dem goldenen Porsche Panamera (kein Scherz) von gegenüber parkt so bemitleidenswert schlecht, dass echtes Mitgefühl aufsteigt. Ach Junge, du hast so ein schönes Auto gekauft; warum hast du nicht gleich einen Führerschein gemacht?

In solchen Momenten freust Du dich, nicht in Langscheid zu sein.

Doro_80x80Michael_Autor

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2 Kommentare zu “Landadelige Runde

  1. Schöne Bilder. Seid ihr sicher daß diese echt üble Schotterstrecke ein Wanderweg war oder habt Ihr euch auf ner stillgelegten Bahnlinie, wo die Geleise und Schwellen geklaut wurden, fortbewegt?

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