Links anne Ruhr

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Hattingen ohne Bügeleisenhaus ist wie Bochum ohne verstopfte A 40 oder Gelsenkirchen ohne Ess Nullvier. Geht gaar nicht. Also stöbern wir auf unserer Wanderung von Hattingen nach Herbede links anne Ruhr zunächst dieses skurrile Gebäude auf.

Man darf es auch mal gerne wiederholen: Für eine Revierstadt besitzt Hattingen eine ausnehmend schnuckelige Innenstadt, vielleicht, weil das niedliche Fachwerk-Ambiente inmitten früherer Industriegeschäftigkeit so etwas wie Gemütlichkeit und ein Zuhause-Gefühl vermittelte. Ist auch heute noch so, ohne Kohle und Stahl. Auf dem Markt blinzelt uns ein alter Käfer an, mit original blauweißer, gehäkelter Klopapierrolle, nur der Ölkühler unter der Stoßstange verrät die Eingriffe unter der Motorhaube.

„Einen schönen Tag” ruft der Straßenkehrer

Wir bestaunen die Georgskirche mit ihrem „respektlosen” schiefem Turm und hätten beinahe der Verlockung Adeles nachgegeben, die Topfenstrudel mit Zimtpflaumen und Dampfnudeln in ihrem Café anbietet. Der Straßenkehrer grüßt freundlich (machen nicht mal manche Nachbarn) und ruft: „Einen schönen Tag noch!” Das alte Rathaus der Stadt begann 1420 als Markthalle für Fleisch und wird heute von einer kleinen Statue namens Eisenmann geziert, der sein putziges Geschlecht aus ebensolchem Material präsentiert. Mmnnja.

Das Flatiron Building an der 5.th Avenue in New York aus dem Jahr 1902 ist zwar erheblich jünger, aber auch erheblich höher. Wir wissen nicht, ob seine Architekten mal an der Ruhr waren und die Keilform des Hattinger Bügeleisenhauses abgeguckt haben. Die mittelalterliche Interpretation eines Flatiron Buildings mit Fachwerk gefällt uns jedenfalls erheblich besser (weil wir im Moment davorstehen und außerdem nicht so einfach nach New York kommen). Als Bewohner muss man Fachwerk und seine Nachteile übrigens mögen. Gleich, ob Einfach- oder Doppelrähm, also mit einer „Dämpfung” zwischen den Stockwerken: Schall geht durch die Decken wie ein heißes Messer durch die Butter.

Algengrüne Wohnwagen warten auf bessere Tage

Raus aus der Stadt, an die Ruhr, immer links lang. Ist schon ein schöner Fluss. An der geschichtsträchtigen Henrichshütte (rechts, war mal Stahlstandort) setzt ein Distelfink (links) einen ersten Frühlingsfarbtupfer. Radler sind an diesem Morgen auf dem Ruhrradweg unterwegs und jede Menge Halter/innen mit ihren Hunden. Da, wo Buhnen die Ruhr taillieren, nimmt die Strömung ganz schön Fahrt auf. Auf einem Campingplatz im Winterschlaf warten algengrüne Wohnwagen mit Bezeichnungen wie Adria und Weltenbummler auf bessere Tage.

Wir schwingen auf den Ruhrhang hoch und äugen von Ausguck zu Ausguck immer weiter ins Ruhrtal; Rast am Aussichtspunkt „Belvedere”, die Ruhr zu unseren Füßen stürzt rauschend über eine Stufe und atmet Sauerstoff. Hier stand einst auch der Kommerzienrat Carl Friedrich Gethmann und sagte: „Schön muss es sein, in düsterer Nacht auf dem Belvedere zu stehen, die Ruhr geheimnisvoll rauschen zu hören und jene fünf Stahlhämmer ihre Funken gen Himmel sprühen sehen.” Die Halbach-Hämmer, so in formiert ein Hinweisschild, wurden bereits 1913 abgerissen. Durch den Gethmann-Garten steigen wir zur Burg Blankenstein. Den Turm hoch? Ehrensache! Oben wird die Sicht ungehemmt, ach was, enthemmt, Du guckst nach Stiepel rüber, über die Ruhraue und den Altarm bis Haus Kemnade.

Manchmal ist Wandern wie Monopoly: Wir gehen anschließend NICHT in die legendäre Blankensteiner Eisdiele Filippin (die uns nach harten Rennradtouren mehrfach vor dem Hungerast gerettet hat mit hochgefüllten Bechern), wir gehen NICHT an die Ruhr zurück ins Tal, sondern ÜBER die Bergvariante auf den Ruhrhöhenweg. Zunächst eiern wir viel über Teer, bis uns hinter der A 43 ein kleiner Pfad ins Unterholz und in die Stille führt. Wir queren Straßen nur, statt auf ihnen fortzukommen und verfallen im Wald in jenen ausdauernden Wolfstrott, in den Karl May einst versprengte Komantschen, denen die Westmen den Gaul unterm Hintern weggeschossen hatten, versetzte.

Unser Pech: Einmal im Flow, traben wir an Herbede VORBEI, anstatt hinunter zu einem alten Kollegen, den wir besuchen wollten. Über das Muttental, dem Muttertal des Revierkohlebergbaus und an den zahlreichen Relikten aus der Kohleära vorbei, steuern wir mit müden Knochen Witten an.

Vorhang zu, Transit ab Hbf.

Franz_Michael_klein

 

Die Wanderung wurde aufgezeichnet mit der App outdooractive:

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