Geordnete Pracht

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Du gehst morgens aus dem Haus in der sicheren Gewissheit: Dieser Tag wird dich mit Annehmlichkeiten nicht verwöhnen. Grau, zugig, nass und kalt und Du kannst nur hoffen, dass die prachtvolle Umgebung von Schloss Nordkirchen dich halbwegs für das Mistwanderwetter entschädigen wird.

Martin stellt den Wagen ab in einer Pfütze, die als Wanderparkplatz ausgewiesen ist. Überhaupt Wasser: Staunässe ist im Münsterland das Wort der Stunde. Senken, Gräber, Furchen, Falten, überall steht Wasser, in den Reinheitsstufen von brackig bis klar. Kann gut sein, dass sich die Menschen hier nicht über das tägliche Wetter, sondern über die aktuelle Höhe der Staunässe aufregen, die ihnen abends im Ohrensessel die Socken anfeuchtet. Es kann ja auch nicht weg, das Wasser, weil: linealgerader Horizont nur ein Hilfsausdruck. Und so sammelt es sich in den Unreinheiten der Erdhaut, in ihren Poren, ihren Grübchen und Narben, ein schlammiger Teint. Über uns tost ein gewaltiger Fön, der einen bissigen Kaltstrom übers Land treibt.

„Entspann dich. Lass das Steuer los.”

Nach nicht einmal einem Kilometer durch den Schlosspark mit lehrreichen Informationstafeln zu Trittsiegeln der Tiere oder Mähwiesen mündet der Forstweg in eine eichengesäumte Allee, die – wie alle anderen Wege (Geometrie! Sichtachsen!) – schnurstracks auf das Schloss zuführt. Vor uns öffnen sich die ausladenden Flügel des Schlosses Nordkirchen, ein mächtiges, ein prächtiges Barockensemble, das seit Jahrzehnten die Fachhochschule für Finanzen des Landes NRW beherbergt. Wir flitschen nur kurz durch, denn unser Rückweg wird uns wieder hierhinführen, und schlagen uns in das Naturschutzgebiet Hirschpark. Wir wandern also durch „reich strukturierte Grünlandkomplexe” und „Stieleichen-Hainbuchenwald”, in dem Pirol, Nachtigall, Neuntöter und, wenn sie aus Afrika zurück sind, Wespenbussarde leben und dessen 193 Hektar durch zahlreiche Richtlinien und ordnungsbehördliche Festsetzungen geschützt sind. Zur Erheiterung muss man da schon mal den Spruch eines alten Ironikers gegensetzen, den wir in der geschwungenen Waldliege am Wegesrand gefunden haben:

„Entspann dich.
Lass das Steuer los.
Trudle durch die Welt.
Sie ist so schön.”
Kurt Tucholsky

Mental wieder eingenordet steuern wir entspannt und trudelnd weiter. Morast auf dem Weg wird vielfach überschätzt, gerne durch Wanderer. An einer weiteren Informationstafel lernen wir etwas über die wunderbare Welt der Insekten. Hier wohnen Großstirnschwebfliege, Moschusbock und Feuerkäfer, insgesamt gibt es auf der Welt schätzungsweise 10 Trillionen Insekten, deren schiere Menge uns an die Fantastillionen von Dagobert Duck erinnert. Was wiederum eine schöne Überleitung ist zur nahen Fachhochschule für Finanzen NRW, dessen oberster Dienstherr, Finanzminister Walter-Borjans, mal echte 800 oder 900 Millionen Euronen im magersüchtigen Landessäckel nonchalant vergessen hatte. Innige Bitte von hier aus an die Studis: lernt, dass man nur das Geld ausgeben kann, das man wirklich besitzt. Keine Wander-, sondern alte Kaufmannsregel.

Wir können auch Acker!

Die Finanzhochburg selbst ist von zwei Gräften umgeben, deren Wasser an diesem Tag vom Wind aufgepeitscht wird wie die Elbe kurz vor der Nordsee bei auflaufender Flut. Wer hier durch möchte, riskiert mehr als nasse Füße.

Verlustieren wir uns ein wenig im neobarocken, weitläufigen Park mit seinen steinernen Statuen, den Hirtengott Pan erkennt man und athletische Windspiele, für die die Fürsten seinerzeit schwärmten. Ein Schwan balzt für Franz und das verwundert den Kenner nicht, denn seit der Aasee-Affäre eines Schwanes mit einem Tretboot wissen wir, dass die großen weißen Vögel im Münsterland seltsamen Vorlieben folgen.

Kugel, Kegel, strenge Linien

Die strenge, strikt geometrische Auslegung der Parkanlage folgt der pulvertrockenen Materie der FH für Finanzen – oder war es umgekehrt? Eibe, Bux und Thuja sind rasiert, beschnitten, getrimmt auf Kugel, Kegel, strenge Linien, selbst der Kies ist penibel in Form gelegt. Hier zeigt der Mensch der Natur, was eine Harke bzw. eine Ordnung ist. Betreten ist natürlich sowas von verboten.

Wir halten’s wie der BVB an diesem Abend beim DFB-Achtelfinale bei Dün. Dresden auf runkeligem Feld: Wir können auch Acker!

Franz_Michael_klein

Die Wanderung wurde aufgezeichnet mit der App outdooractive:

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