Herrlicher als herrlich!

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Es gibt Tage, an denen Du nicht entscheiden kannst, worüber Du dich mehr freuen sollst: über die unverhoffte Tour zur Weinlage oder die Weinlage nach der Tour. Unser Abstecher an die Mosel führte uns durch den berühmten Bremmer Calmont und anschließend zum Weingut Franzen, einem der Spitzenwinzer des Ortes.

Ist ja normalerweise nicht unser Wanderrevier, diese Ecke, aber die berufliche, frühmorgendliche Verpflichtung von Franz‘ Sohn hatte uns in die Eifel verschlagen. Ein kurzer Schlenker und wenig später stehen dieSchlenderer in Neef an der Mosel und vor einer kräftezehrenden 26-Kilometer-Wanderung. Schon am Frauenberg stoßen wir auf Lagen, die zum Weingut Franzen gehören, steile Lagen, die die Frage aufwerfen: Wie kommen die Winzer dort hoch und wie können sie dabei auch noch arbeiten? Ungeklärt und träge wie der moselweinflaschenbraune Strom zu unserer linken Hand schlingert die Frage davon. Nebeneinander aufgereiht wie bei einem Schützenfestzug schauen die Häuser von Bremm über die Mosel zu uns herüber. Wir blicken auf den Calmont und ich warte auf das Lieblingswort, das Franz bei solchen Panoramen entfährt: Herrlich, und genau das ist es, bei ebensolchem Wetter.

Der Weg ist schieferrot und die Pfützen auch

Die „Excellence Queen”, ein Hotelschiff, schiebt sich erhaben um die Moselschleife stromaufwärts, wir nehmen Kurs auf Senheim (nächste erreichbare Brücke), passieren die Klosterruine Stuben und der schattige Weg vor uns ist schieferrot, die Pfützen aus der Regennacht zuvor auch. Apfelbäume auf verwilderten Streuobstwiesen blühen, ab und zu röchelt ein Schiffsdiesel vorbei und in dem verschlafen wirkenden Nest Nehren stoßen wir auf die ersten Holländerwohnwagenkolonien. Oberhalb von Nehren, auf dem Römerberg, werfen wir einen kurzen Blick in zwei rekonstruierte römische Grabkammern, für uns allerdings eine Nummer zu groß und vieel zu früh! Hier oben gibt die Natur das ganz große Panorama mit weiten Blicken über Mosel, Wald- und Rebenmeer. Ungeschützt zwischen Rebzeilen ist es aber auch merklich heißer. Mild silbrig-grün schimmernde Eichen- und Buchenhaine kommen uns deshalb gerade recht. Der Moselsteig, auf dem wir Teilstrecken zurücklegen, fällt manchmal aus den Rebbergen in die Ortschaften hinunter. Klar, auch die Gastronomie will ihren Teil vom Tourismuskuchen, obwohl der Blick von oben definitiv besser ist. Solche Gustostückerl wie die romanisch-gotische Kirche St. Martin in Ediger sollte man sich aber nicht entgehen lassen.

Ein Dreiklang aus Schiefer, Sonne, Riesling

Der Einstieg zum Höhepunkt dieser Tour, dem Calmont-Klettersteig, liegt hinter den häßlichen Betonpfeilern der Bahnbrücke, die über die Mosel hinüber mittenmang in den Kaiser-Wilhelm-Tunnel führt. Calmont gleich heißer Berg (lat. Calidus Mons), mit 65 Grad Steigung der steilste Weinberg Europas, und beides werden wir gleich zu spüren bekommen. Ein richtig scharfer, alpiner Klettersteig ist der Calmont nicht, gefährlich schon und man muss seine Sinne beisammenhaben und über sicheren Tritt und ein wenig Kondition verfügen, um das Auf und Ab meistern zu können. Der Weg durch die Rebterrassen ist teilweise ausgesetzt, aber Tritte, Seile und Leitern sichern heikle Stellen, es geht an alten Natursteintrockenmauern entlang und auch schon mal darüber und ein Aussichtspunkt erweist sich besser als der andere, Franz würde ergänzen: „Herrlicher als herrlich!”, womit er natürlicht Recht hat. Es gibt berückende Blicke auf die enge Schleife, mit der sich die Mosel um den Frauenberg schmiegt, luftige Tiefblicke, die berauschen, ohne dass Du einen Riesling dafür brauchst. Wir sinnieren auf einem überdachten Freisitz über die Gedankenlosigkeit der Tourismusindustrie, Moselschiffe nach Geistesriesen wie Heinrich Heine oder Jane Austen (mit kleinem putting green auf dem Oberdeck) zu benennen.

Wir strahlen noch Stunden später;-)

Der Calmont ist Reduktion aufs schier Nötigste, ein Dreiklang aus rotem Schiefer, Sonne und Riesling, karg, steil und heiß. Die Mosel reflektiert die Sonneneinstrahlung und wirft sie in den nach Süden ausgerichteten Bergkessel wie in einen Hohlspiegel. Der rote Schiefer bunkert die Wärme und gibt sie in der Nacht wieder an die Reben ab. Auch wir werden „aufgeheizt” und strahlen noch Stunden später, aber aus anderen Gründen.

Wer einen Fuß in diese Steilstlagen stellt, bekommt Respekt vor den Menschen und dem Wert des Weines, den sie mit Handarbeit unter härtesten Bedingungen erzeugen, mechanisch unterstützt nur durch die schmalen Monorackbahnen. Auch wir sind geschafft nach 26 Kilometern, verschwitzt, ziemlich erschöpft und ziemlich happy. Letzteres ein Zustand – siehe herrlicher als herrlich, der sich noch steigern lässt, nämlich durch einen Besuch im Weingut Franzen.

Franz_Michael_klein

Ein Riesling wie Schiefer im Glas
Die Weinliste von Kilian und Angelina Franzen – die jungen Leute haben das Gut nach dem plötzlichen Unfalltod von Kilians Vater vor ein paar Jahren übernommen -, ziert ein Zitat von Rilke, dass wie die Faust aufs Auge passt auf die Arbeit im Calmont: „Dass es schwer ist, muss ein Grund mehr sein, es zu tun.”
Sieben Hektar Reben im absoluten Steilhang, das ist „Weinbau auf Messers Schneide.” Angelina Franzen erklärt uns die moseltypische Reberziehung zu einem „Herz”, das aus zwei einjährigen Stöcken gebunden wird. „Die Triebe und Blätter wachsen der Sonne entgegen, dadurch hängen unten die Trauben frei. Diese Erziehung gibt es, seit die Römer hier waren, und man macht es heute noch so”, sagt sie. Nicht alle, die Franzens bevorzugen den halben Bogen, weil diese Art der Erziehung die Traubenmenge begrenzt und die Qualität des Weines steigert.
Womit beschließt man eine solche wunderbare Wanderung? Franz standesgemäß mit dem Riesling „Wie Schiefer im Glas” aus dem Bremmer Calmont, dieser hat ein wenig mehr Restsüße als der Gutswein „Quarzit”, den ich wähle und bei dem sich das Spiel aus Mineralität und fruchtiger Rieslingwürze sowie 12 Prozent Alkohol herrlich vereinen zu einem verträglich leichten Zechwein. Angelina und Kilian Franzen nennen es natürlich anders: „Unser Jeder-Zeit-Wein.”

Die Tour wurde aufgezeichnet mit der App outdooractive:

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