Ein Fest für Augenmenschen

Von Franz (Fotografie) und Michael (Text) – Wenn Franz (Fotomensch) solche optischen Steilvorlagen geliefert bekommt, darf sich der Texter (ich) zurücklehnen: Das Zentrum für Lichtkunst in der ehemaligen Lindenbrauerei in Unna ist ein Fest für Augenmenschen, internationale Künstler servieren auf 2400 m² meist unter Tage raffinierte Arrangements und Installationen mit geformten, gefärbtem und geführtem Licht.

Manchmal haben sogar wir kein Pech und bekommen noch etwas Glück obendrauf (wir danken Jürgen „Kobra” Wegmann für diese Vorlage): Als wir nach unserem schmutzigen Quickie in Unna-Lünern im Kulturzentrum Lindenbrauerei ankommen, haben wir den Termin für die erste Führung verpasst, die nächste beginnt erst in anderthalb Stunden. Doch Olga Kröhmer macht für dieSchlenderer eine Zwischendurch-Tour durch die Keller der früheren Brauerei.

„Unser Museum ist einzigartig auf der Welt”

Franz hat das große (Nikon-)Besteck dabei, ich wie immer, das ganz kleine: einen A7-Block vom Schreibwarenhändler meines Vertrauens und einen Kugelschreiber. Reicht meist aus, nur nicht hier! Denn Olga ist eine charmant sprudelnde Quelle des Wissens und sollte von euch unbedingt selbst angezapft werden. „Unser Museum ist einzigartig in der Welt”, sagt sie. Als der Aufbau 2001 begann, durften sich die Künstler für die dauerhaften Installationen ihre Räume in der aufgegebenen Brauerei selbst aussuchen. Die Keller wurden nur minimal verändert und atmen noch den Restgeist ihrer ursprünglichen Bestimmung. Im Eiskeller führt Joseph Kosuth die Betrachter auf gläsernen Zick-Zack-Stegen über einen am Boden, in Neonröhren leuchtenden Aphorismus des Dichters Heinrich Heine. Man kann ihn in seiner Gesamtheit kaum entziffern, muss sich das Werk „Die Welt ist die Signatur des Wortes” körperlich und geistig erarbeiten.

Wild wirbelnde Informationsteilchen

Zu Vorsicht mahnt uns Olga vor Besichtigung des Installation von Mischa Kuball. Erst vorige Woche sei einer jungen Frau beim Betrachten schlecht geworden. Ferkelig, obszön? Nein, voll die 80er-Jahre-Disco! Na ja, nur auf den ersten Blick. Im Raum wirbeln Lichtblitze umher, die in der Tat von glitzernden Disco-Kugeln erzeugt werden und das Gefühl vermitteln, in einem rasenden Schneewirbel Halt und Bezug zu verlieren. „Space-Speed-Speach” zerlegt die Worte in Fraktale, in kleinste Informationsteilchen. Olga sieht in Kuballs Arbeit ein dreidimensionales Modell unserer Kommunikationswelt, ein ganzes Universum.

Keith Sonniers Tunnel of Tears erstreckt sich über ein zweigeteiltes Tonnengewölbe und bekommt durch aufsteigendes Grundwasser einen realen Anstrich. Die Neonröhren stammen von Murano, sind also Unikate aus edelstem Glas und auch ein Grund mit dafür, dass es im Lichtmuseum nur geführte Runden gibt. Die unterschwellige Botschaft lautet „Finger weg” und ist ausnahmsweise mal nicht beleuchtet. Farbintensität und -temperatur scheinen beim Unterschreiten der schwebenden Neonröhren zu wechseln, ein Effekt, der sich aber nur in unserem Kopf abspielt. Dem Vernehmen nach stammt der Künstler aus einer kleinen US-Kommune, in der es keinen Strom und folglich auch kein elektrisches Licht gab.

 „Laser ist von gestern, LED die Zukunft”

„Brainwaves” von Jan van Munster – er schuf auch die ICH-Installation im 10 Meter tiefen Fallschacht der Brauerei – kann dem großen Kreuzgewölbe, in dem es an der Wand hängt, nicht viel entgegensetzen. Farbige Gehirnwellen in einem viel zu großen Kopf – ich weiß, dass Olga anders darüber denkt, aber wir sind keine großen Kunstversteher. Sehr wirkungsvoll kommt „Amber” von Li Hui rüber, eine Arbeit aus geschichteten Acrylplatten. Unter der Form eines futuristischen Wagens präsentiert sich, wie eine Fliege im Bernstein eingeschlossen, das Skelett eines Urtieres. Stephan Reusse entwickelte einen neuartigen Laser, mit dem er bewegte Figuren erzeugen kann. „Laser als Lichtquelle ist auch schon wieder von gestern, LED ist die Zukunft”, sagt Olga, „daran lässt sich auch die Entwicklung der Lichtkunst ablesen.”

 Im Floater 99 kurz vor der Entstofflichung

Zum Meditieren lädt Rebecca Horns Arbeit „Lotusschatten” ein, mit sphärenhaften Klängen, die an Obertonchöre und Walgesänge erinnern. James Turrells „Floater 99” spielt mit dem Medium Licht und lässt einen Raum zu einem zweidimensionalen Bild zusammenschrumpfen. Diffuses, indirektes lila-blau-changierendes Licht raubt dimensionale Bezüge und irritiert den Betrachter. Mit blauen Tatort-Überziehern an den Füßen dürfen wir die Installation betreten. Faszinierend! So muss sich Mr. Spock beim Beamen kurz vor der Entstofflichung fühlen. Mit engem Bezug zur Natur inszenierte Olafur Eliasson zwei Wasserfälle mit Stroboskopleuchten und erzeugt ebenfalls erstaunliche Effekte. Die Wassertropfen scheinen in der Luft festgefroren zu sein, zu stehen und erinnern an funkelnde Diamantschnüre oder elektrisierend dargestellte Nervenstränge. Da blitzt ein fürchterlicher Gedanke auf: Eigentlich wollte ich gar nicht so viel schreiben…

Besuch unbedingt empfehlenswert!

Am 22. Januar wird in Berlin erstmalig der vom Zentrum für Lichtkunst und von RWE initiierte „International Light Art Award” verliehen. Die dazu begleitende Ausstellung „The Future of Light Art”  eröffnet am 25. Januar in Unna.

Franz_Michael_klein

 

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