Wahnsinn, Wisente!

Von Michael (Text) und Franz (Fotos) – „Ein Prachttag – blauer Himmel, milde Luft und ein Gefühl, als sei man bis auf weiteres unsterblich”.* Es gibt diese Sätze, die man sich mal leihen muss, wenn man ein überaus eindrucksvolles Ereignis in ein paar treffende Worte fassen will und keine findet. Der neue Wisentpfad zwischen Schmallenberg-Jagdhaus und Bad Berleburg-Wingeshausen ist solch eine Sache. Mensch, was für eine Wanderung!

Die „Begegnung mit dem König der Wälder”, so der Untertitel des Wisentpfades, ist eine der sechs „Rothaarsteig-Spuren”, die entlang des Steiges neue Wanderhöhepunkte setzen sollen, sagt Sabine Risse, Themenmanagerin Wandern bei Sauerland-Tourismus. Aber dazu später mehr.

„Kann man sogar ohne Karte gehen”

Der erste Mensch, den wir an diesem Morgen in Jagdhaus treffen, hat von dem Wisentpfad noch nie etwas gehört. „Ich bin seit Jahrzehnten jedes Frühjahr und jeden Herbst hier”, sagt der alte Herr, der mit Wanderstöcken unterwegs ist. Aber man kann dem Wisentpfad eines nicht nachsagen: dass er schlecht markiert ist. Wenige Meter hinter dem Wanderparkplatz außerhalb des Örtchens geht es rechts hoch in den Wald, nach 70, 80 Metern scharf links hinunter.Wisent Wanderung bei Jagdhaus 28082014_07 Kleine Schilder (Wisent-Wildnis) oder Holzbrettchen mit einem eingebrannten Wisent-Umriss leiten den Wanderer sicher durch die Wittgensteiner und Schmallenberger Wälder. Eine Karte der 12,9 Kilometer langen Strecke kann man sich hier herunterladen. „Die Runde kannst Du sogar ohne Karte gehen”, behauptet Schlenderer-Kartenwart Franz.

Zu früh für eine Rast? – Wir hauen uns hin!

Dennoch stoßen wir auf ein Siegerländer Paar, das am Parkplatz in Jagdhaus zunächst (falsch) links in den Wald hielt und uns nun entgegenkommt und entnervt die Ossen (sauerländisch für: Viecher mit Hörnern) sucht. „Der Pfeil hier am Baum zeigt in jene Richtung, aber der hinter der Kurve in die entgegengesetzte”, nörgelt der Mann mit dem typischen, rollenden Siegerländer „R”. Das liegt daran, dass wir uns auf einem RUND-Wanderweg befinden und man sowohl in die eine wie auch andere Richtung gehen kann. Franz weist ihm auf SEINER Karte den Weg. „Er lässt sich halt nicht gerne beraten”, murmelt seine Frau, bevor er sie fortzieht. Wohl die fußläufige Variante der Im-Auto-Straße-oder-Haus-Suchnummer „Männer fahren weiter, Frauen halten und fragen nach dem Weg”

Mutige, spannende Wegeführung

Wir sehen eine der am Steig üblichen übergroßen Ruhebänke in geschwungener S-Form. Zu früh für eine Rast? Ach komm, wir hauen uns hin! Die Riesenliege kippt uns hintenüber und eröffnet uns den Blick in den blauen Himmel, an dem Federwolken lungern, und wir hängen eine Weile ab. In Wingeshausen bewundern wir die mutige Wegeführung direkt an einem Haus vorbei – wer lässt so viel Nähe zu? Hinter dem Ort wird der Wald dichter, hier wurden attraktive Wurzelwege angelegt und die Pilzpracht rundherum scheint wie bestellt. 

„Mann, wir haben ein Riesenglück!”

Und urplötzlich erspähen wir durchs Grün die ersten Fellstreifen eines der braunen Riesen. Mann, haben wir ein Riesenglück – Sogar die gesammte zehnköpfige Herde steht unten im Talgrund des Geheges! Wir bewundern diese urtümlichen Geschöpfe und die Menschen, die noch näher dran sind. Denn wir stehen hinter insgesamt drei Zäunen. Des Rätsels Lösung: Der Wisentpfad führt am äußeren Gehege vorbei und um in das Reservat zu kommen, müssen wir an der Mautstelle des Wisentzentrums vorbei. Wir schlendern, nein, wir eilen ins Tal hinein und Franz macht sich an eine höchstamtliche Fotostrecke.

Die Kälbchen haben lustige Hornhöcker

Sieben, acht andere Besucher richten ihre Kameras auf die Wisente, jeder bewegt sich vorsichtig und spricht in Flüsterton, was dieser Szenerie im Grünen einen beinahe andächtigen Anstrich gibt. Die Wisente – Alt- und Jungtiere sowie drei Kälber -, haben die Ruhe weg. Die Kälbchen haben lustige kleine Hornhöcker und suchen noch die Nähe der knochigen Kühe. Altbulle „Horno“ schnaubt aus der Tiefe seines mächtigen, braunen Rumpfes, er strahlt die Lässigkeit und die Würde von Mammut Manni aus dem Film Ice Age aus. Schwarze Fellstreifen unter den Augen verleihen ihm auch eine gefährliche Aura: Schließlich ist er der König der Wälder**.

„Den Pfad haben die Wingeshausener geplant”

Für die Erkundung des Geheges auf unbefestigten Wegen sollte man 90 Minuten einplanen, sagt Miriam Hesse im Kassenhäuschen. Wir ratschen ein wenig und loben die spannende, abwechslungsreiche Wegeführung des Wisentpfades. „Den Weg haben die Leute aus Aue-Wingeshausen angelegt”, sagt sie.

Der Überschwang und die Begeisterung für diese Wanderrunde halten sich auch noch am nächsten Tag und dieses Empfinden hat sicherlich mit der Gewissheit zu tun, in der Begegnung mit den Wisenten etwas Außergewöhnliches erlebt zu haben. Es ist aus unserer Sicht eine angemessenere Form, den Wald zu beleben und zu bevölkern, als ihn beispielsweise mit von Menschen gemachter Kunst wie auf dem nahen Waldskulpturenweg vollzustellen. Warum trägt man soviel totes Eisen in den Wald?

Erlebnispotenzial auf naturnahen Wegen

Aber noch mal ein kritischer Blick: Schimmerte nicht ein wenig Zoo-Atmosphäre durch dieses Naturidyll, mmmh? „Nein”, sagt Sabine Risse vom Sauerland-Tourismus, die uns „großes Glück” bescheinigt, die ganze Herde gesehen zu haben. „Ich habe das selbst noch nicht erlebt”, sagt sie. Eine Garantie, Wisente außerhalb des Reservats zu sehen, gibt es natürlich nicht, die Tiere seien von Haus aus scheu. Im „Gehege ist die Chance aber am größten.”

Der Wisentpfad als Rothaarsteig-Spur bietet genau das „Erlebnispotenzial auf naturnahen Wegen”,

wie es von seinen Machern versprochen und eingelöst wird; der Besuch und die mögliche Sichtung im Gehege die Sahne obendrauf. Kann man sich von einer Wanderung mehr wünschen? Ja, sicher! Wenn der Menschheit die gezielte Züchtung und Auswilderung von schmackhaften Pilzen (Steinis, Pfiffis) gelänge;-)

*Der Satz stammt aus Bodo Kirchhoffs neuem Roman „Verlangen und Melancholie”, Frankfurter Verlagsanstalt, 448 Seiten, 24,90 Euro.
**Was, nebenbei erwähnt, mancher Waldbauer auf der Schmallenberger Seite des Rothaarsteiges anders sieht. Acht in die Weite des Waldes entlassene, wirklich freilaufende Wisente verursachen Schälschaden am Baumbestand und haben eine ausgesprochene Vorliebe für teure Buchensetzlinge entwickelt, die auf die riesigen Kyrill-Flächen gepflanzt wurden. Aber das ist ein andere, komplizierte Geschichte mit anhaltenden juristischen Gefechten.

Öffnungszeiten und Preise: „Lange Wisente”, wie es auf der Eintrittskarte steht, zahlen 4,50 Euro, übrigens eine lohnenswerte Investition, die „Kälbchen” der Menschen kommen preiswerter (2,50) rein oder mit Familienkarte.

Franz_Michael_klein

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