Schleifsche umm Hinnerveserde

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Wenn die Örtchen und Flurbezeichnungen Todtenhelle, Hahn, Lahmen (sic!) Hasen, Haste, Vogelhenne oder schlicht Waldstück heißen, dann weißt du, du steckst tief, ganz tief im märkischen Sauerland. DieSchlenderer haben sich in Wiblingwerde eingefunden, um die Wintererstbegehung des Märkisch-Kongo (MK) anzugehen. Wie immer frei atmend, ohne künstlichen Sauerstoff.

Wiblingwerde ist ein Höhendorf, mit 462 Metern über dem Meeresspiegel das höchste Kirchdorf der Mark, wie es selbstbewusst auf einem Ortsschild prangt. Höhe bringt an diesem Tag eines mit sich: Man sieht von der Umgebung relativ wenig. Unten Weiß (viel Schnee), oben Weiß (viel Nebel), und dazwischen pfeift der Wind sein schneidend Liedchen: Whiteout wie in Montana. Ob das nun gut oder schlecht ist für das Image von Wiblingwerde, mag ich nicht beurteilen. Der ortskundige Franz sagt nur: „Die Gegend ist eigentlich ganz schön.” Mniam. Warum aber tragen hier die Hunde beim Gassigehen Lederschühchen an den Pfoten? Wie gesagt, ein merkwürdiger Kreis (MK).

Der Schnee knarzt und knarrt unter unseren Stiefeln

Wir parken an der Kirche, bewundern den gegenüberliegenden Gasthof für seine Zuversicht („Zur schönen Aussicht”) und zockeln los Richtung Veserde. Ist gar nicht so einfach, auf dem Schnee. Er knarzt und knarrt unter unseren Stiefeln, raubt unsere Kraft (13 gelaufene Kilometer, gefühlte 18) und birgt seine Geheimnisse. Eines für mich: zentimeterdicke Eisrippen darunter. Zack, so schnell kannst du nicht mit den Augen klimpern, reißt es dir die Beine unterm Rumpf weg (hat Franz leider nicht fotografiert). Judomäßiges Abrollen praktisch nicht anwendbar.

Kleines Drama am Wegesrand

Obendrauf kannst Du natürlich viel sehen – wer da hergegangen ist. Hasen, Rehe, Vögel (trippel, trippel), ein Jogger, kaum Menschen. Das Beste hier oben ist es vermutlich zu tun, was die Tierwelt tut: Schön im warmen Bau bleiben, außer du hast Schmacht. Der Einkauf einer TK-Pizza im örtlichen Einzelhandel ist jedoch bei weitem nicht so gefährlich wie die Suche nach tiefgekühlten Beeren. Wenig später treffen wir auf die Überreste eines kleinen Dramas. Blutspuren, vereinzelte Federn, Urin- und Kotreste im Schnee zeugen vom verzweifelten Kampf eines Singvogels gegen einen Räuber. Vermutlich eine Eule, denn Astwerk hielt einen Rüttelfalken als möglichen Täter ab, auch verräterische Trittsiegel gibt es nicht. Eulen fliegen wirklich lautlos: Schwupp, gekrallt, und du hast nicht einmal einen Schwingenschlag gehört.

Die Szenerie erinnert an den Film „Fargo”

Oben auf dem Kamm hat der Wind den Niederschlag an einigen Stellen malerisch aufgetürmt und ein schneeverwehter Zaun in der Einöde erweckt abstruse Filmszenen zum Leben. „Weißt du noch, wie der einfältige Entführer in ,Fargo‘ – großartig: Steve Buscemi als Carl Showalter – seine Beute an einem endlosen Zaun im Schnee vergrub, ohne Chance, sie jemals wiederzufinden?”, fragt Franz, der Cineast unter den Schlenderern. Oja, ich weiß auch noch, wie die kalte Leiche des Opfers von einem Vollpfosten von Mittäter in der weißen Unendlichkeit des amerikanischen Mittelwestens in einem Schredder plakativrot zerkleinert wurde (sorry, wenn dieses Bild Ihre Gefühle verletzt hat). Heißt halt so auf Deutsch: Blutiger Schnee, ein grandioser Streifen der Coen-Brüder.

Wir suchen natürlich nicht nach einer etwaigen Beute, wer soll hier schon was vergraben haben, und genießen die Stille. Nebel und Schnee saugen jedes Geräusch auf. Eisatem hat Bäume und Sträucher gezeichnet, und manchmal lupft der Wind die Wolkendecke an wie der Freistoß von Marco Reus den Ball über die Mauer und erhellt die weißdunkelgraue Landschaft. So kann, so muss Wandern im Winter sein, wenn du dich darauf freust, nach Hause zu kommen und die klammen Finger um einen heißen Becher Kakao oder Kaffee zu schmiegen.

Als die Erotikbranche Hessen eroberte

Zuvor aber drehen wir noch eine kleine Runde um Hinterveserde. Ein kleiner Schlenker nur in der Gesamtrunde, der sich aber überaus lohnt. Für Nachwanderer, weil er einen schönen Weitblick auf das südliche Ruhrgebiet eröffnet, selbst das Koeppchen-Kraftwerk kann man erblicken. Für uns, weil: wieder Erinnerungen aus dem vergangenen Berufsleben eines Tageszeitungsredakteurs auftauchen. Vor langer, langer Zeit, es muss in den frühen 90-igern gewesen sein, als die Erotikbranche sich aufmachte, den deutschen Hausfrauen Dessous in einer häuslichen Umgebung, wie sie für Tupperpartys bekannt war, zu verscheuern. Also, eine macht im Freundinenkreis vor und zieht sich aus, äh, an. Eine große deutsche Presseagentur lieferte seinerzeit den O-Ton aus einer hessischen Frauenrunde: „Also, wenn isch ihn in Stimmung bringe wiell, dann zieh isch mir was aa, mit Schleifsche hinnen druff.”

Hat selbstverständlich null mit Wandern zu tun, die Anekdote, liefert uns aber die Zeile zur Tour: „Schleifsche umm Hinnerveserde”.

Franz_Michael_klein

Die Fotos kommen heute mal in Schwarz-Weiß daher, was auch am Wetter lag, aber nicht nur. Eine Ausnahme, Ihr werdet sehen warum, gibt es dann doch in Farbe.

Die Tour wurde aufgezeichnet mit der Kompass-App:
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