Stochern im Nebel

Von Dorothe (Fotos) und Michael (Text) – Was macht man in den Alpen, wo um einen herum genug 3000er warten, aber das Wetter nicht stabil genug ist für eine schneidige Hochtour? Wir könnten ins Schreibmaschinen-Museum in Partschins gehen; oder in die mit Sicherheit überlaufene Therme von Meran; nicht zu vergessen den engen Marlinger Waalweg, verstopft meist mit geschwätzigen Wandergruppen; oder in die Moser-„Speckworld” mit dem „einzigartigen Speck-Museum” (mit alten Schinken?). Wer solche Alternativen erwägt, ist verzweifelt und dem ist alles zuzutrauen. Sogar eine Nebeltour aufs Vigiljoch.

Wobei wir den Berg nicht ins schlechte Licht stellen wollen. Das Vigiljoch ist ab der Bergstation der Seilbahn Aschbach aka „Eule” oberhalb von Rabland ein gängiger Familienberg mit halbwegs freundlichen Steigungen (etwa 465 Höhenmeter), auf den man mit Geduld und Bedacht auch Kinder hinaufführen kann.

Regenschwer hängen die Wolken über dem Etschtal

Aber an diesem Tag mitten im August ist der Herbst hereingebrochen, so fühlen sich die kühle Witterung und der leichte Nieselregen an. Vorteil des morbiden Wetters: Wir fahren mit der „Eule”, für deren Namensgebung man eigens einen Bozener Professor samt einer Handvoll Design-Studenten verpflichtete (gab’s auch einen „pitch” mit anderen Unis?), exklusiv nach oben. Heute will hier kein Schwein hin. Zeit und Raum, Details zu notieren und die Sicht ins Vinschgau zu goutieren. Wir schnellen mit 10 Meter pro Sekunde nach oben, an einer Seilschräge von 2464 Metern. Schwer und manchmal regenschwanger hängt die Wolkendecke über dem Tal der mäandernden Etsch mit ihrem fruchtbaren Schwemmland, das die Bäche aus den Seitentälern herausgewaschen haben und dem Talgrund von einer Seite zur gegenüberliegenden ein merkwürdig pendelndes Profil verschafft.

Oben steigen wir in den Steig und in den Nebel auf. Uns geht es nur darum, die gewonnene Kondition anzuwenden und die angestaute Bewegungsenergie zu verbrennen. Hit and run, so wie die Amerikaner eine Methode des Taschenraubs bezeichnen, zuschlagen und weg! Weil sich dieses blöde Drucksystem über den Alpen hält, wird es wohl unsere letzte Tour im Urlaub sein. Wir überholen ein Paar mit Sohn im Teenie-Alter, alle drei knöttern. Kann man nachfühlen: Ständig unbeständig schlechtes Wetter macht schlechte Laune.

„Die St.-Vigil-Kirche sollte Menschen vor Unwettern schützen”

Das Kirchlein St. Vigil auf dem Joch liegt im nebligen Nieselregen, der kleine, vergitterte Vorraum gewährt uns ein paar Minuten Schutz und erfüllt somit auch in der Jetztzeit seinen Zweck. „Die St.-Vigilius-Kirche galt früher als Wetterkirche, die die Menschen vor Unwettern, denen sie damals hilflos ausgeliefert waren, beschützen sollte”, heißt es in dem kleinen Doppelblatt, das man gegen eine kleine Spende mitnehmen darf. St. Vigil am Joch wurde erstmals 1278 erwähnt und ist heute in privatem Besitz. Die Fresken mit den 24 Ältesten aus der Apokalypse des Johannes und mit den 12 Aposteln aus dem 14. Jahrhundert können wir nicht näher betrachten; das Gitter hält Touristen wohlweislich fern, eine Bitte mahnt: Bitte die Wände nicht beschriften. Trotz des weltlichen Besitzverhältnisses hat die Kirche ihre christliche Aura bewahrt.

Wir steigen über die Schwarze Lacke, ein Naturschutzgebiet, aus der Nebelzone hinunter zur Bergstation. Aschbach und seine Handvoll Häuser sonnen sich gerade in dem wenigen Licht, das die Wolken durchlassen. Aber Sonnenschirme aufzustellen wagt sich niemand.

Die „Eule” fliegt uns ins Tal zurück.


Doro_80x80 Michael_Autor

 

 

 

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