Winter/Frühling

Von Franz (Fotos) und Michael (Text) – Stockum also. Also nicht Witten-Stockum im Ruhrgebiet, sondern Sundern im Sauerland, was wandertechnisch eindeutig zu bevorzugen ist.
Das Kapellchen auf dem Rehberg leuchtet altrosa in der kalten Morgensonne und Franz und Martin finden diesen Einstieg lohnenswerter als ihre Drei-Türme-Runde in der Vorwoche, von ihren Machern ausgezeichnet als Premiumwanderweg. „Höchstens Premiumforstweg“, meint Martin. Ist ja auch so eine Sache, das mit den Bewertungsmaßstäben. Heute ist noch nicht einmal der Big-Mäck vor Nachahmung sicher, laut eines Urteils darf sich nun jede Bulette fragwürdiger Herkunft „Bic Mac“ nennen.

Wie Weihnachten

Gleichviel. Wir erfreuen uns an diesem Wintertag; ein paar Zentimeterchen Schnee liegen auch, so dass der Untergrund unter unseren Absätzen bei jedem Schritt zufrieden grunzt. Hinter der ersten Kuppe lassen wir Stockum und seine Geräusche hinter uns, vor uns breiten sich ein weites Tal und Stille aus. Auf den Christbäumchen der kommenden Jahre glitzern Eiskristalle. Es ist wie Weihnachten. Über lange Hügelkämme reicht der Blick weit nach Osten, die Ansicht des Sauerlandes ist einfach überwältigend. Für solche Blicke/Momente wandern wir.

Schlendern um die Welt

Obwohl die Bilder, die Nichte Lisa und ihr Mann von ihrer Weltreise derzeit aus Laos und Vietnam senden, verführerisch sind. Diese jungen Leute! Wagen was! Schlendern in sechs Monaten um die Welt! Wir alten Säcke kommen über das Sauerland kaum hinaus und flüchten uns in Gedanken in die glorreiche Vergangenheit. Nimm die Musik, nimm die Pink-Floyd-Ausstellung derzeit im Dortmunder U. Das war Aufbruch in andere Sphären, an die die nachfolgende Stilrichtung nicht anstinken konnte. Der Frust über die Spielfertigkeit und Perfektion solcher Supergruppen gebar Wut und Zerstörung und Einfachheit, also den Punk.

Bücher, Bücher, Bücher

Musik, Musik und Bücher, Bücher, Bücher. Was lest ihr gerade? Meist Bücher älteren Datums, weil Neuerscheinungen (Steffen Mensching: Schermanns Augen) manchmal an das trockene Aktenstudium im Finanzministerium erinnern (gähn). Ein Buch wie eine Keule: Richard Flanagan „Der schmale Pfad ins Hinterland“ (Martin und Franz), alte, ergreifende Schwarten von James Baldwin, Porträt einer starken Frau in der Kaiserzeit (Bernhard Schlinks „Olga). Das rockt langweilige, regnerische Wintertage. Aber genug davon.
Heute zeigt sich der Winter von seiner schönen Seite. Immer wieder ereilen uns Winterlandschaftsmomente, glitzernde Kristalle, Raureif, und knirschende Eisplatten. Diese Tour ist eine Abfolge von Panoramarampen, weite Blicke über Sättel, Kuppen und Gipfel. Da! War das nicht der Hintern einer Hirschkuh oder einer sehr großen Ricke? Den Spuren im Schnee nach zu urteilen haben die Rehe hier zumindest eine ordentliche Schuhgröße.

„Hihihi, ein Schlenker“

An der Ossenstein-Schutzhütte hängen wir uns in die Sonne, es gibt sogar eine Terrasse und einen ausgesetzten Aussichtsfelsen davor (steil). Uns wird warm, auch der Schnee vor uns schwitzt. Was fehlt? „Jetzt gibt es wieder einen Schlenker, hihihi“, geiert Franz. Der Querungsexperte schlägt sich in die Botanik, der Philosoph unter den Schlenderern (ich) folgt schicksalsergeben und sagt: „Der Weg entsteht beim Gehen“ (Danke, Antonio Machado).

Gepflegtes Handwerk

Der Pfad über den Attenberg, den Sauerland-Tourismus auf outdooractive preist, ist zunächst wenig bis gar nicht markiert und schwer zu finden. Dafür entschädigen uns Birkenhaine aus weißem Gespinst, das leuchtende Grün an den Südhängen der Berge. Es ist ein räumlich enges Nebeneinander der Jahreszeiten: hie Winter, während am Gegenhang der Frühling ausbricht.
PS: Sehr zu empfehlen: Ein Besuch des Cafés Vielhaber in Stockum. Hier wird das Handwerk noch gepflegt, bei Broten und süßen Sachen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*
Website