Von Franz (Fotos) und Michael (Text) – Hereinspaziert, hereinspaziert, Menschen, Tiere, Sensationen! Mit diesem Spruch lockten die Fahrensleute einst die Menschen ins Zirkuszelt. In Willingen haben sie den Zirkus mit dem Skywalk in die Moderne geholt: „Erlebe den Glücksrausch“, so ein Werbespruch, soll die Leute in den Hochseilzirkus an der Mühlenkopfschanze locken: Einmal quer über die Schlucht auf einer Drahtseilbrücke in 100 Metern Höhe.
„Diese Weite! Diese Ruhe!”
Die Tour von Niedersfeld aus, die Franz entworfen hat, wird also einen schwindelerregenden Höhepunkt haben. Zuvor bleiben wir aber mit beiden Beinen auf dem Boden, und zwar auf dem weichen, federnden Untergrund der Hochheide im Naturschutzgebiet Neuer Hagen. Spinnweben schimmern auf der blühenden Besenheide, die Hochheide wirkt wie mit einem glitzernden, lila Pullover überzogen. „Diese Weite! Das macht die Ruhe aus“, sagt Markus, und damit hat er die Wirkung schierer Natur auf den Menschen auf den Punkt gebracht. Geduckte Krüppelkiefern möblieren hier und da als skurrile Skulpturen das Meer der Besenheide. „Fast schon Altweibersommer“, meint Franz. Nicht nur fast.
„Luftgenuss“ verspricht eine luftige Stele, an einem anderen Pfahl hängen gleich acht Wegweiser, aber Franz kennt sich bestens aus und bald schauen wir vom Clemensberg (838 m) hinunter auf Hildfeld und unter unseren Füßen auf den Steinbruch, dessen emsiges Rumoren bis hier oben zu hören ist. Dort wird Diabas, vulkanisches Ergussgestein, abgebaut. Der Basalt entstand vor 380 Millionen Jahren, als Lava aus dem Erdinneren in das darüberliegende Meer aufstieg und erkaltete.
Elf Euro für einen Glücksrausch
Die sedierende Wirkung dieses Eindrucks weicht abrupt dem Trubel, als wir uns ein paar Kilometer später der Mühlenkopfschanze nähern. Im Umkreis ist jede Menge los, an der Schanze selbst und auch auf der Hochseilbrücke, die über das Tal spannt. Mit elf Euro, zahlbar per Karte an einem Mauthäuschen, ist der „Glücksrausch“ vergleichsweise preiswert (mit Weißbier, ja, shice Vergleich, bekäme man nicht mal einen halben Rausch). Die harten Fakten: die Hängebrücke ist 665 Meter lang, 100 m über dem Talgrund, ein Tragseil hat 70 mm Durchmesser, zulässig für 700 Personen bei einem Gewicht von 168,4 Tonnen.
„Nicht soo wild”
Der Skywalk hat große Ähnlichkeit mit einem Schiff, was sein Verhalten angeht: Das Ding giert, stampft und rollt wie ein Tanker in schwerer See. Beste Gangart also: seemännisch, breitbeinig. Nicht immer gelingt der sichere Schritt, und viele Skywalker klammern sich mit einer Hand an die beidseits verlaufende, edelstählerne Reling. Das Gefühl? Luftig nach allen Seiten, Blick auf die Mühlenkopfschanze und ihren Auslauf, auf Willingen und auch nach unten durch die verzinkten Gitterroste auf den Parkplatz mit seinen winzigen Autos. Ein Gefühl der Ausgesetztheit wie auf einem alpinen Berggrat stellt sich indes nicht ein; die brusthohe Reling mit ihren Drahtnetzen vermittelt stets einen beruhigenden Bezugspunkt.
„Nicht soo wild, kann man gut aushalten“, resümiert Franz und Markus meint: „Ein ganz schöner Aufwand.“
Ratschläge gehen auf den Senkel
Genau gesagt, hat der Skywalk die Betreiberfirma 4,5 Millionen Euro gekostet. Wir gehen nicht zurück, sondern weiter, und nach 50 Metern hinter dem Brückenkopf stellt sich wieder Ruhe ein. Als unabhängiges Portal für besonders kritische Wanderkritik stellen wir uns natürlich die Frage: Ist die Amerikanisierung der Natur, ihr mit allen Mitteln den letzten Kick, den nächsten Adrenalinrausch abzugewinnen, richtig? Geht über den Skywalk und urteilt selbst.
Das Überstülpen der Natur mit wohlmeinenden Ratschlägen, wie man sie mit allen Sinnen erleben sollte (der „Goldene Pfad als Landschaftstherapie“, „Atmosphärebäder“, „Ist das göttliche Kunst?“) geht einem übrigens auch auf der Hochheide auf den Senkel. Ein Paar auf einer verwitterten Bank (ohne Sinnspruch) macht das genau richtig: einfach hinsetzen und die Natur, den Augenblick genießen.