Im Kristallglaswald

Von Franz (Fotografie) und Michael (Text) – Er kann es noch, der alte Winter: Unten, in Milchenbach noch rutschig, mehr braun als weiß an diesem Tag und zu wenig als Existenzbeweis; aber oben, rund um den Härdler, wo sein Atem kalt ist, zeigt er der Landschaft sein ganzes Repertoire.

Der Start vom Wanderparkplatz am Ortseingang des bezaubernden Fachwerkdörfchens lässt einen nichts Gutes schwanen. Nieseliger Schneeregen, brauner Matsch. Doch Mannschaftsoptiker Franz ist ganz heiß an diesem Tag: Hinter jedem hellen Flecken am trüben Himmel ahnt er die Sonne. He, da kommt sie raus! Nee, ist doch eher hellerer Nebel, der sich weiter unten feucht und tropfig in unseren Haaren niederlässt.

„Dieser Herr gehört nicht zu uns”

Martin ist gut dran mit einem flotten Filz-Stetson (oder so) aus Oberstdorf, garantiert wasserdicht, versichert er und denkt bereits über die Anschaffung eines ebenso filzenen Sepplhutes nach. Nähmen wir ihn dann noch mit auf Schlenderertour, sag mal Franz? Wenn er zehn Meter vor oder hinter uns geht und bei Kontakt mit Fremdwanderern mit der Bemerkung: „Dieser Herr gehört nicht zu uns.”

Trockene Explosionen bei jedem Schritt

Immer mehr verdichtet sich der Untergrund zu einem Deckweiß, nur ein emsiger Waldbauer hat Spuren hineingedrückt, er nagt mit einem Minibagger kleine Einfahrten in den Wald zwecks späterer Holzabfuhr. Endlich. „Kumma”, sagt Franz, „unberührter Schnee.” Und es stellt sich auch dieses bekannte Knirschen und Knacken unter den Sohlen ein, diese trockenen Explosionen bei jedem Schritt. Die Schneehöhe reicht schon für schwache Kalauer (Drei Männer im Schnee) bzw. eine Kurzlektion aus der englischsprachigen Waldbauernschule zur winterweißen Adventszeit: „Ä Tännschen, please!” (Danke, Ernst†, für den Humor und die Selbstironie, mit der Du als Sauerländer auf deine und meine Heimat schautest).

Drahtschmiele und Hemikryptophyt

Auf dem Kamm, im NSG Härdler, liegt schon eine ernste Schneedecke. Für die bildungsnahen unter unseren Leserinnen und Lesern, also alle: Wir lernen etwas Neues. Am Härdler steht ein Hainsimsen-Buchenwald. (Buchen, die SMS verschicken? Der Kalauer wird gestrichen.) Der Begriff bezieht sich auf den Unterwuchs der Buchenwälder, die auf Grund ihrer Beschattung durch das Laubdach wenig Gehölz unter und neben sich erlauben. Es darf wachsen: die genannte Weiße Hainsimse, Waldsauerklee, Heidelbeere, Adlerfarn, Waldmeister, Drahtschmiele undsofort. Der Hainsimsen-Buchenwald ist gar nicht mal so selten, weshalb Botaniker als die deutsche Waldform überhaupt bezeichnen, wenn Waldbauern nicht der schnellwachsenden Fichte den Vorzug gäben. Neben Drahtschmiele lernen wir noch ein neues Wort, über das wir uns als Hochbildungsschlenderer einen Ast abfreuen: Hemikryptophyt. Die Hainsimse hat Überdauerungsknospen, die – halb verborgen – unter etwas Erde, Laub oder Schnee über der Erdkrume liegen (Quelle: Wikipedia). Als Sauergras ist die Hainsimse eine Hungerkünstlerin, denn sie kommt mit sauren, nährstoffarmen Böden – wie in Buchenwäldern – zurecht.

Eine Landschaft unter glasklarem Eis

Jetzt, lieber Schlenderinnen und Schlenderer, kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt unserer Runde, dem Kristallglaswald, den außer uns nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen haben. Auf einer breiten Schneise haben Regen, Kälte und ein scharfer Wind pittoreske Gebilde geformt. Wir können uns nicht losreißen von diesem Anblick: Äste, Gräser, Zäune, Bäume, Stämme – alles ist überzogen von einer millimeterdicken, glasklaren Eisschicht. Schlapp hängen die schneeverbackenen Äste der Fichten am Stamm herunter, hier und da hat es schwache Kronen vom Stamm gerissen, junge Bäume und Äste biegen sich unter der gefrorenen Last.

Erinnerungen an den Blitzeiswinter

Erinnerungen an einen Blitzeiswinter werden wach, der in den späten 80ern flächendeckend und folgenreich das Hochsauerland überzogen hatte. Hier und heute ist es nur ein begrenzter Abschnitt. Es ist letztlich die Kälte, die uns die Knochen fährt und die uns zum Weiterwandern drängt. Die Köhlerhütte wenig später am Wegrand, ein rustikales „Tipi” aus langen Viertelscheiten, nutzen wir dankbar als Butterstube. Archaisch, echt! An der Sombornquelle erinnert uns eine Hinweistafel an die Höhe, auf der wir uns bewegen: 716 Meter. Am Margaretenstein verlassen wir das kurze Stück Rothaarsteig und steigen aus Winterhimmel ins Tal hinunter.

Hat uns diese Aktion irgendwas gebracht? Ja. Die Erkenntnis, auch bei Sch…wetter rauszugehen. Solltet ihr nachmachen, ihr da draußen.

Ach ja, euch allen vielen Dank für eure Schlenderer-Treue im vergangenen Jahr und ein frohes neues Jahr von:

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