Verflixt und verhext!

Von Gerald (Text und Fotos) – Es ist Fasnet-Zeit, auch im Lötschental, als ich bei strahlendem Sonnenschein zu meiner Skitour aufbreche. Ziel ist die Lötschenpasshütte auf 2700 m. Die sonnengegerbten Holzchalets von Ferden am Taleingang sind jetzt mit geschnitzten Holzmasken dekoriert. Warum schaut mich eine bunt bemalte Hexe besonders verschmitzt an? Ich denke mir noch nichts dabei, als ich wenige Schritte später am Ortsrand die Skier fertig mache.

Felle unterkleben, Bindung für Aufstieg lösen und dann los! Nur wohin? Da stelle ich fest, dass ich die Karte vergessen habe. Verflixt und verhext! Gut, ich habe am Vorabend nochmal reingeschaut und weiß ungefähr, dass ich mich oberhalb von Ferden rechts an den Färdanbach halten muss. Es geht steil über eine Weide zu urigen Stadelhütten hinauf und ich bin erstaunt, wie gut die Steigfelle auf dem rutschigen Untergrund haften. Der Schatten der mächtigen 3000-er auf der anderen Talseite entlässt mich ins gleißende Licht. Sofort ist selbst das Hemd zuviel. Noch kurz mit Sonnenschutz eingecremt und dann weiter steil bergauf. Verflixt! Die Druckstelle am Knöchel des rechten Skischuhs ist neu. Was tun? Ein gefaltetes Küchenpapiertuch muss in dem Fall reichen.

Harzaromem würzen die Luft

Am oberen Rand der Weide, gleich am Waldrand deutet sich ein Wanderweg an und wenig später entdecke ich auch einen Wegweiser. Es sollte der einzige Wegweiser auf der gesamten Tour bleiben! Langsam komme ich in einen Trott und der Höhenmesser bestätigt mich mit immerhin elf Höhenmetern pro Minute. Es geht immer am Rand eines mächtigen Lärchenwaldes entlang; Sonnen- und Lawinenschutz zugleich – beides willkommen. Rechts rauscht der Bach. Die Luft ist so klar wie purer Sauerstoff, versetzt mit ein paar Harzaromen, die die Wärme auf den runzligen Föhrenrinden gelöst hat. Tief durchatmen!

Die Kummenalp liegt im Winterschlaf

Schneller als gedacht stehe ich am oberen Waldrand auf knapp 1800 m, wo eine einzelne mächtige Arve wie ein Wächter den Übergang ins Hochgebirge markiert. Vor mir baut sich ein steiler Südhang auf, der so gleißend in der Sonne liegt, dass unwillkürlich die Sorge wegen einer Lawinengefahr auftaucht. Ich tröste mich damit, dass bereits verschiedene Schneebretter dem Gesetz der Schwerkraft gefolgt sind und zitiere den alten Kartenspielerspruch: „Was liegt, das liegt.“ Die Kanten der betagten Tourenski erweisen sich jetzt als Schwachpunkt, denn beim Queren rutschen die Bretter immer wieder seitlich weg, was Kraft kostet. Doch auch diese Passage ist schnell geschafft. Schon sind die dunkelbraunen Chalets der Kummenalp (2080 m), die wie Adlerhorste am Hang kleben, zu erkennen. Ein beruhigendes Gefühl, denn dort bin ich schon einmal sehr spät im Jahr gewesen, um im November mit Hilde das letzte Herbstlicht einzufangen. Jetzt allerdings liegt die Kummenalp im Winterschlaf. Kein Mensch weit und breit! Was für ein Privileg, hier oben sein zu können!

„So geht die Herrlichkeit der Welt vorüber”

Genau zwei Stunden nach dem Aufbruch bin ich pünktlich zur Mittagsrast oben. Köstlich rinnt der Tee die ausgedörrte Kehle hinunter. Zum Zeitvertreib lese ich die eine oder andere ins Lärchenholz geschnitzte Inschrift an den Hütten. Alles schlaue und weise Menschen, die hier in den Bergen leben: „Wir gebären, wir sterben – so geht die Herrlichkeit der Welt vorüber.“ Halt! Möchte man rufen, dazwischen liegt doch noch so manche Schlendertour…

Die Mittagsrast ist vorbei. Über mir warten noch gut 600 Höhenmeter zum Lötschenpass, jenem uralten Übergang vom Wallis ins Berner Oberland. Jeder scheint den Weg zu kennen, denn ich entdecke weder einen Wegweiser, noch irgendeine Markierung. Und die Wanderkarte liegt bekanntlich zu Hause. Ich suche  nach Orientierungspunkten, aber bauchige Hänge über mir versperren die  Sicht. Unwillig folge ich den Fragmenten einer alten Skispur. In meinem Rücken steht nicht nur die Sonne, ich weiß dort auch das mächtige Bietschhorn als vertrauten Bezugspunkt. Durch wenig klar strukturiertes Gelände geht es in nordwestlicher Richtung aufwärts. Der wachsende Durst wird zur Qual. Warum soll man eigentlich keinen Schnee lutschen? Kühlt auch noch schön den trockenen Mund. Die Augen beginnen zu brennen. Eineinhalb Stunden geht es so weiter. Keine Markierung, kein Blick zum Pass. Als ich auf 2500 m stehen bleibe, umfängt mich eine perfekte Stille, die sich in einer starken Ruhe in mir niederschlägt. Nach oben schauend, erkenne ich ein Gipfelkreuz.

Der Frühling kann nicht mehr fern sein

Noch nie habe ich ein Gipfelkreuz auf einem Pass gesehen. Und weil von der Passhütte weit und breit nichts zu sehen ist, beschließe ich endlich die Umkehr. Die Anspannung ist weg. Gelöst und geläutert ziehe ich die Felle von den Skiern, arretiere die Bindung für die Abfahrt und bin gar nicht mal enttäuscht, denn nun folgen 1200 Höhenmeter ohne einen einzigen Schritt. Schon nach wenigen Minuten sind die Almhäuser der Kumme wieder in Sicht. Rauschend und berauschend geht’s bergab. Pulverschnee und Firn wechseln mit eisigen und windverpressten Passagen, weiter unten Sulz und  schließlich schwerer Wasserschnee in der warmen Nachmittagssonne. Nein, der Frühling kann nicht mehr fern sein. Als ich Ferden erreiche und zielstrebig den Dorfbrunnen ansteuere, kann ich mir einen Abstecher zu der listigen, alten Fasnet-Hexe nicht verkneifen. Ich grüße sie freundlich – und danke für den phantastischen Tag im Lötschental.

Anreise und Abreise durch den Lötschbergtunnel im Kandertal. Tipp: Auto in Kandersteg stehen lassen und an der Bahnverladung als Anhalter kostenlos durch den Tunnel nach Goppenstein mitfahren. (Autofahrer zahlen 27 SFR=Euro für einen Transfer). Ab Goppenstein für 3,60 Schweizer Franken mit dem gelben Postbus in wenigen Minuten weiter nach Ferden.

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