Guckst du Flatrate, Alter!

Von Michael Text) und Franz (Fotografie) – Im Frühling 2014 führte eine unserer Touren durch das Hawerländer Sauerland, und wir waren derart beeindruckt von dessen Weitblicken, dass wir es das „Aussichts-Reich” nannten. Es geht noch besser: Auf den Höhen rings um die Listertalsperre, Alter, hast Du Flatrate-Gucken, soweit das Auge reicht!

Erst mal schrauben wir uns von Hunswinkel, vom Parkplatz an der Schützenhalle aus, gemächlich hoch. Schon nach wenigen hundert Metern Weg liegt der See unter uns, lächelt und er ladet zum Bade (Goethe? Schiller, Mann!). Unter unseren Füßen ein Weg, wie er früher war und ewig sein sollte: zwei ausgefahrene Spuren für die Fuhrwerke, in der Mitte ein fetter Streifen Grün und rechts und links weite, sanft schwingende Weiden; Gleise, die dich früher über den Berg in den Nachbarort leiteten, als es noch keine „grüne” (geteerte) Wege gab. Perfekte Szenerie, wenn am Hang gegenüber nicht eine flache Trabantenstadt im Dunst und eine dazugehörige Frage im Kopf materialisieren würde. Was, in Teufels Namen, treibt Menschen dazu an, ihrer wohnlichen Enge zu entfliehen und in der Natur die gleiche Enge zu SUCHEN? Wie mit dem Lineal vermessen liegt links oberhalb des Gutes Kalberschnacke eine Campingsiedlung, eng an eng eingegrenzt die eigenen Möglichkeiten.

„Leben wie ein Baum, einzeln und frei”

Wir erfreuen uns an den Zipfeln der Listertalsperre, die wir sehen können und an der zunehmenden Kulturdichte am Wegesrand. Denn ein Teil unserer Strecke mit dem blauen BL-Zeichen (steht für Biggesee/Listersee) führt über die KulTour-Route, die man mit allerhand Kultur inszeniert hat. Unter uns Betschwestern: Zwei, drei Dinge stoßen den Geist an, aber vieles, dem wir begegnen, hat mit Kunst einfach nichts zu tun.

Was uns beeindruckt: die Mooskugeln, das kleine „Stonehenge” mit mannshohen Basaltstelen und dem zarten „Keim des Lebens” (andere Interpretationen zulässig, siehe Bild) und die mit Weisheiten versehenen Latten im Wald. „Leben wie ein Baum, einzeln und frei, doch brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht”, heißt es auf einer Holzstele. Genau diesen Spruch hat der junge Franz in seinen wilden Jahren nachtaktiv und subversiv mit einem Gesinnungsfreund in Dortmund an, ähm, verraten wir lieber nicht, verbreitet. Der Satz stammt von dem türkischen Dichter Nazim Hikmet, und…

Von Hölzchen auf Stöcksken, von Hikmet auf Boyle

…jetzt schau mal her: schon haben wir ein neues Thema, das neue Buch von T.C. Boyle, Hart auf hart, in dem es um die vermeintliche Freiheit der US-Amerikaner geht. Ein vollbekiffter, Mohn anbauender Mittzwanziger versteigt sich im Alkohol- und Drogenwahn in die Lebensgeschichte des Trappers John Colter, der als freier Waldläufer eine Legende darstellt, damals, als der Westen erobert und genommen wurde was kam, auch, wenn es das Leben der Indianer war. Was fehlt? Eine anarchistische Enddreißigerin, die sich gegen die Regelungswut des Staates Kalifornien auflehnt (Gurtpflicht, gültige Autozulassung, solche Sachen), sich mit „Colter” zusammentut, und dessen ohnmächtig zuschauenden Eltern, die mit unterdrückter Wut und dumpfem Rassismus gegenüber mexikanischen Zuwanderern (Drogenproduzenten!) reagieren sowie die ein oder andere Waffe. Wie Boyle dieses gesamte Mittelschichtfamiliendingens vor die Wand fahren lässt, ist einerseits bedrückend, auf der anderen Seite ganz großes Kino. Lesen! (Danke, Else Stratmann).

Die beste Butterbank unserer Wanderungen

Wir als Waldläufer sind definitiv friedlich, we come in peace, auch wenn uns später ein unerzogener Hund ohne Ende bissig ankläfft, und genießen die Leinwand, die sich uns auf den Höhen erschließt. Die Landschaft ruht und schwingt und wenn es den Begriff 360-Grad-Panorama nicht gäbe, spätestens hier müsste man ihn erfinden. Kaum verwunderlich, dass wir in diesem Herrgottswinkel auf die beste Butterbank unserer gemeinsamen Wanderungen stoßen. Sie steht oberhalb von Dumicke (vermuten wir mal), unter einem blühenden Kirschbaum und irgendwer hat sich vor vielen Jahren gedacht, denn das Holz ist verwittert und grau wie wir: Hier ist ein guter Platz zum Verweilen. Wir dehnen und strecken unsere gestauchten Seelchen im cremigen Duft des Löwenzahns und der Kirschblüten, ziehen sie lang und breit und hängen sie zum Entspannen sorgsam hinter uns auf die Bank in die Sonne.

„Muss weiter, das gute Essen meiner Frau wartet”

Es gibt auch deutlich inszeniertere Aussichtsplätze: den Panorama-Standort Voßsiepen, wo spanische und russische Wanderer ihre Grüße im Wanderbuch hinterließen und ein naher Naherkunder aus Rhode, der schrieb: „Schöne Aussicht! Muss leider weiter, weil das gute Essen meiner Frau Mechthild wartet.”  Auch ein – sehr gutes – Argument.

Von diesem Platz ist es nicht weit zum nächsten, neu möblierten Superausguck. Nur wenige Schritte weiter führt links ein geschotterter, noch nicht ausgeschildeter Pfad zu einem großen, stillen Panorama über Lister und Bigge. Mehr Flatrate-Gucken geht nicht. Es sei denn, Du gehst wie wir, auf der gegenüberliegenden Anhöhe zurück.

Franz_Michael_klein

 

Die Strecke wurde aufgezeichnet mit der App outdooractive:

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