Fast aussichtslos*

Von Franz (Fotografie) und Michael (Text) – Kesbern? Der entlegene Ortsteil von Iserlohn geizt an diesem (Donners)Tag mit märkischem Charme und empfängt uns mit Dauerniesel zu einer fast aussichtslosen Wanderung über Drahthandelsweg und Höhenflug.

Aussichtslos, und auch fast ereignislos über 17 Kilometer – ein idealer Anlass, eines der aktuellen Trend- und Imponierwörter der Feuilletons aufs Wandern herunterzubrechen (journalistisch für: anzuwenden), statt nur eine Links-Rechts-Tourbeschreibung zu liefern. Buchaffine Wanderer werden diesen Begriff erahnen: Alle ernsthaften Bucherscheinungen – anderenfalls ist es keine Liiterraturr -, enthalten derzeit mindestens eine Dystopie oder sind dystopisch, glaubt man den Rezensenten in Hochfeuilletons und Kulturradiosendungen. Früher schrieb man: Der Autor entwirft ein düsteres Zukunftsbild. Also, machen wir das mal an Franz und mir fest. Eine Dystopie ist das Gegenteil einer Utopie, die in diesem Fall Franz darstellt.

Die Utopie: drei superfitte Schlenderer

Eine utopische Wanderung läuft folgendermaßen ab: Super Wetter, azurblauer Himmel, drei sportliche gestählte Schlenderer, Franz, Martin, Michael, absolvieren en passant 40 km, entdecken in Lüdenscheid in der Baugrube für eine Glasfaserleitung zufällig den Faustkeil eines darunter liegenden mumifizierten Neandertalers (Lüdzi?) und entspannen am Ende der Tour kostenfrei im Wellnesshotel eines ihrer Sponsoren. Und ich weiß jetzt schon, was Franz am Ende der Wanderung sagen wird…

Die Dystopie ist ziemlich dyster

Die Dystopie ist das Gegenteil einer Utopie, also ich, und ziemlich dyster. Ich steige in Iserlohn-Kesbern aus dem Auto und trete in grauen Matsch. Ist es hohe Luftfeuchtigkeit oder schon ganz, ganz feiner Nieselregen? Der Übergang ist fließend, über uns eine Waschküche statt eines feinen, blauen Firmaments. Wir ziehen als Fähnchen Nieselschweif (danke, Walt Disney für Tick, Trick und Track) durch die Märkische Pampa. Die Beschreibungen der Wegequalität entnehme man unserem vorherigen Beitrag und addiere in Gedanken „knöcheltiefe Mocke“, „seifig“ sowie „extrem rutschig“.

„Wir sehen einfach nix“

Weil eine Dystopie die düstere Vision unserer Zukunft ist, muss ich jetzt schreiben: Scheißwetter, wir kriegen nasse Füße und der Himmel wird im Leben nicht mehr aufreißen. Selbst Franz muss nach einiger Zeit einräumen: „Jetzt sind wir schon am Flugplatz Hegenscheid und stellen fest, dass wir nix sehen.“

Bis hierhin stimmt also schon mal alles.

Aber keine Wanderung ohne Höhepunkt. Wir erlauben uns eine Einkehr im Landgasthof Elfenfohren, den wir hiermit ausdrücklich empfehlen! Das Gastronomenpaar Schulte bietet in rustikal-feinem Ambiente echte westfälische Küche. Utopist und Dystopist sind sich sogar einmal einig: Beide wählen Sauerländische Kröse, Hafergrütze mit Wurstebrühe und Blutwurst gekocht und sehr schmackhaften Bratkartoffeln. Der Geschmack: sehr schlachteküche-nah. Ob die Schulten noch selbst wursten? Aber diese gleich nebenan.

Darauf ein Hasper Maggi, hihi

Auf ein solch deftiges Gericht kippen die beiden wandernden Gegensätze noch ein Hasper Maggi. Doppelwacholder von Eversbusch, der, hihi, richtig erfrischend wirkt. „Warum heißt die Ecke hier Elfenfohren?“ fragt Franz beim Abschied. „Kommen Sie mal mit“, sagt die Gastgeberin und verweist auf den mächtigen geschnitzten Türstock im Restaurant. Elf Fohren, aka Furchen bzw. steinige Bodenabsätze im Acker, lautet die bodenständige Erklärung. Die lyrische: eine Schar Elfen, die im wallenden Nebel über den Furchen tanzt.

Die Kröse wird eingearbeitet

Zum Glück geht es hinter Elfenfohren bergauf, so dass wir die Kröse einarbeiten können. Es wird aber auch richtig, richtig schmutzig. Ein Harvester hat Holz gemacht und tiefe Spuren im Wald hinterlassen. Und wo der Harvester die Erde nicht aufgewühlt hat, haben es die Wildschweine gemacht. „So haben wir das nicht gebucht“, meint Franz. Vor Ihmert laufen wir auf einen Holzweg (danke Weltkriegskartenmaterial, danke auch outdooractive, das diesen toten Weg im Netz noch anzeigt) und müssen uns durch mannshohe Buchenschößlinge schlagen.

Aber ich wusste ja, was Franz „am Ende des Tages“ (Trendwort der Politik, Gabriel u.a.) sagen würde: „Ach, mir hat es ganz gut gefallen.“ Ist halt ein Utopist, der Franz!
enthält Literaturkritikerwortwahlkritik

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