Von Gerald (Text + Fotografie) – Wenn man endlich ein „Vierteljahrhundert-Projekt“, nämlich die Grande Traversata delle Alpi (GTA), beginnt, dann ist es hilfreich, die einst himmelhohen Erwartungen auf ein vernünftiges Maß herunterzufahren, denn sonst ist man bereits beim Start im kargen Örtchen Piedimulera im Ossola-Tal oder spätestens am unscheinbaren, dafür verregneten Startpunkt Molini im Anzasca-Tal, ja, völlig desillusioniert.
„Endlich mal wieder neue Eindrücke sammeln“, bekundet Hilde, als wir eine gottverlassene Schlucht raufstiefeln. Startpunkt der GTA, später auch „Via Alpina“, „Sentiero Italia“ und Walserweg genannt. Klangvolle Namen! Um es vorwegzunehmen: Der Klassiker auf der Südseite der Alpen ist noch immer ein Insider-Tipp. Wir haben Ende Juli 16 Bergfreunde aus Schweiz, Österreich und Deutschland getroffen. Keinen einzigen übrigens aus Italien! Nur die erste Nacht muss in einer unbewirtschafteten Berghütte, dem „Bivacco Pian Lago“ (ohne lago), eher eine Art Notbiwak, verbracht werden. Die sarkastischen Hüttenbucheinträge trösten nicht über die Unzulänglichkeiten der Unterkunft (zwei Doppelbettgestelle, Dachboden) hinweg: kein Feuerholz, kein Tee, nichts. Dafür Mäusekot und Unrat. Ja, ein richtiges Dreckloch! Morgens nichts wie weg!
Die GTA wurde in den Jahren nach 1979 angelegt, um die Verödung der Bergalpentäler durch die Abwanderung der Menschen zu stoppen und um die traditionelle bäuerliche Kultur zu erhalten. Geht der Mensch, bleibt die Landschaftspflege durch ihn aus, sind die Hänge stärker der Erosion und Unwettern ausgesetzt. Trotz dieses sanften Tourismus‘ sind die Besucherströme ausgeblieben; begangen wird die GTA zumeist von ausländischen Wanderern.
Am zweiten Wandertag soll es ja endlich ins gelobte Walserland gehen. Jenes Freiheit liebende Bergvolk, das im Mittelalter aus der Fronherrschaft über himmelhohe Pässe dem Licht entgegen zog, um die hintersten Bergtäler auf der Südseite der Walliser Alpen zu besiedeln. Jeder Weg hat seine Entscheidungen. Die heutige gibt Hilde am Passo Usciolo (2000 m) beim Tiefblick des abgründigen Campello Monti (1300m) vor. Lieber oben bleiben und Höhe halten, um den gegenüber sichtbaren Pass von Rimella, unser Tagesziel, zu erreichen.
Die ersehnte Bocchetta die Rimella – Uff!
Also am Hang entlang. Die Pfadspuren sind aber Ziegen- und Gämsenfährten. Zu wenig, um Füße nebeneinander zu setzen. Nur einmal entdecken wir Wegzeichen auf der Alpe Fornale di sopra, um sie gleich wieder zu verlieren. Und leider kurz darauf auch die Orientierung. An der nächsten Biegung versperren steile Felsfluchten ein Weiterkommen auf unserer Höhe. Zurück oder rauf? Lieber rauf und auf einen Durchschlupf aus den Flanken der Cima Capezzone in unwegsamem Gelände hoffend.
Hilde schlägt sich tapfer, als die Wolken bereits dunkler werden. Hand in Hand entrinnen wir dem steilen Labyrinth durchs einzig mögliche Schlupfloch, erreichen Almen und endlich – nach sechs Stunden – auch die ersehnte Bocchetta di Rimella. Uff!
Fortsetzung folgt
Auf dem gemeinsamen Bild sehen Hilde und Gerald ganz schön geschafft aus. Sicher war das auf der schrecklichen Hütte. Bin auf die Fortsetzung gespannt.
Hallo Kurt,
spekulierst Du auf eine Schwächephase von Gerald? Wie ich höre, wird Deine Kondition Ende September an der Rigi (Vierwaldstätter See) auf den Prüfstand gestellt.
Herzliche Grüße
Michael