Zu Fuß in die Schweiz

Ein Mann, ein Projekt: zu Fuß vom Schwarzwald durch die Schweiz zum Lago Maggiore. Hier Geralds Wandertagebuch, Tag 1: Gresgen/Schwarzwald – Rünenberg/Jura.

Drei Monate lang hatten die weißen Firnflanken der Alpen bis in den 150 Kilometer weit entfernten Südschwarzwald hin gegrüßt, ohne dass sie erreichbar gewesen wären. Jetzt, nach dem Ende der Corona-Sperrungen, ist der stille Wunsch, die gesamte Strecke von Gresgen bis zum Lago Maggiore einmal zu Fuß zu bewältigen, zum starken Sehnen angewachsen. Acht Marathon-Etappen liegen auf dem Weg. Aber bekanntlich beginnt seit Konfuzius auch der weiteste Weg mit einem ersten Schritt.

Hebels düstere Verse

Der wird getan am Montagmorgen, Punkt 7.30 Uhr mit exakt 9 Kilo Marschgepäck, inklusive 0,7 Liter Britzinger Gutedel. Die Etappe verspricht abwechslungsreich zu werden, denn sie beginnt im Schwarzwald, führt durch das Hochrheintal mit dem Grenzübertritt in die Schweiz und gelangt dann in den Jura. Die ersten 10 Kilometer verlaufen ausschließlich im Wald, das meiste „Käferholz“, wie die toten Fichten hier genannt werden, ist abgeholzt und längst nach China verschifft. Hausen lasse ich links unten liegen, das „Hebel-Dorf“, die neben Basel zweite Heimat des alemannischen Heimatdichters Johann Peter Hebel, der den Dialekt um 1800 hoffähig machte. Von seinen Gedichten sind mir zwei parat, eines über die Vergänglichkeit, das mit seinen apokalyptischen Visionen immer mal wieder – auch jetzt in Zeiten des  Klimawandels – zitiert wird. Düster, düster. Und das andere über den Kreuzweg, das ich in den nächsten acht Tagen vielleicht das eine oder andere Mal zitieren muss. Es geht sinngemäß so: „Wenn Du an einem Kreuzweg stehst und nicht mehr weißt, wohin es geht, halte still und frage zuerst Dein Gewissen. Es kann Deutsch, gottlob! Und folge seinem Rat.“

Hoch zum Dinkelberg

Am folgenden Kreuzweg weiß ich gottlob noch Bescheid. Es geht über die Wiese-Brücke und hinein ins immer noch mittelalterlich anmutende hübsche Altstädtli von Schopfheim, wo ich vor sechs Monaten eine neue journalistische Heimat bei der Badischen Zeitung gefunden habe. Wie wertvoll diese neue Aufgabe ist, habe ich erst drei Monate später erkannt, als Corona ausbrach und kein einziger Tourist aus Übersee kam, um den Reiseleiter aus Gresgen auf Trab zu halten. Am Bahnhof von Schopfheim wird vorausschauend noch schnell ein Ticket für die Rückfahrt-Etappe Basel-Zell gekauft, weil es hier nur halb so viel wie in Basel kostet. Dann verlassen wir Schopfheim und erklimmen durch alte Streuobstwiesen laufend über Wiechs den Dinkelberg, einen Höhenzug zwischen Schwarzwald und Hochrhein. Auf dem höchsten Punkt steht der Aussichtsturm Hohe Flum, 536 Meter.

Ein Apfel auf dem Haupt

Hier laufe ich ich doch tatsächlich ein paar Meter auf der Variante des legendären Westwegs, einer der ältesten deutschen Wanderwege, der auf 285 Kilometern von Pforzheim bis nach Basel führt.  In Nordschwaben wird der Westweg mit seinem markanten roten Rauten-Zeichen verlassen und der Interregiowanderweg eingeschlagen, vorbei an der hübschen, romanisch anmutenden St. Mauritius-Kapelle. Eine interessante Steinskulptur, die an Vorbilder von den Osterinseln erinnert, hat bereits einen eidgenössischen Einschlag, weil ihr jemand einen Apfel aufs Haupt gelegt hat, der nun auf den Pfeil von Wilhelm Tell wartet.

Abtauchen in den „Basler Wald“, der bis fast an die Gestaden des Rheins führt. Es ist ein netter Waldweg, der Zeit zum Träumen und Philosophieren lässt: Ist das wirklich ein langer Weg zum Lago Maggiore? Er beträgt zeitlich rund den 4000. Teil meines Lebensweges… Es geht kilometerweit durch intakten Mischwald. Ist das wirklich wahr? Soll hier tatsächlich die A 98 durchgeschlagen werden?  Hoffentlich tritt da die grüne Landesregierung noch hart auf die Bremse!

Schweiz, ich komme!

Schon kommt das alte Wasserkraftwerk Ryburg in Sicht kommt. 1926 wurde die Kraft des Hochrheins hier gebändigt und in 120 Megawatt Leistung Strom umgewandelt. Etwas gesichtslos ist das Tal des Hochrheintal hier. Man ist deshalb froh, wenn man die Bundesstraße nach Schaffhausen, ein langweiliges Feld und einen Puff hinter sich lässt, um endlich an den Fluss und damit die Grenze zu gelangen. Hallo, Schweiz, ich komme! Als der erste Hügel umwandert ist, komme ich durch Obstplantagen mit reifen, dicken, dunklen Kirschen nach Maisprach. Und dieser Ort ist gleich eine der Entdeckungen, die man mit dem Auto nicht machen würde, weil man einfach auf der Transitstrecke dran vorbeibrettert. Auch Wintersingen gleich nebenan in einer Talmulde ist so ein Geheimtipp, den ich mal mit dem Rad gefunden habe.

Durch Wiesen und Felder geht’s zügig auf die erste Jura-Höhe und durch einen Hof mit den bellenden Bernardinern Basko und Balu, die zum Glück von einem Fünfjährigen zurückgerufen werden. Beim Blick zurück verblassen langsam die Schwarzwald-Höhen. Rickenbach hat auch nette Ecken und Rosenblüten in allen Farben. Zum ersten Mal muss ich an die Vielfalt dieses kleinen Landes denken. Am Nufenen liegt jetzt noch Schnee. Mir dämmert, diese Impressionen zum Auftakt meiner Tour muss ich richtig schätzen! Von Gelterkinden ein letzter Steilanstieg und mein Tagesziel Rünenberg kommt in Sicht. Die Strecke? Also heute geschätzt 48 km in gut 8 Stunden, 843 Höhenmeter bergauf. Aber ich habe keine Uhr und keinen Höhenmesser dabei. Einfach nur laufen.

1 Kommentare zu “Zu Fuß in die Schweiz

  1. Hallo Gerald,
    heute Abend schaue ich mir deine Berichte und Bilder an.
    Wünsche dir eine gute Zeit. Gruß,Peter

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