Auf Messers Schneide

Von Gerald (Text und Fotos) – Die zweite Tour mit dem Wanderexperten fürs Schweizer Jura-Gebiet, Kurt, beginnt wie die erste im Nebel. Ich bin mit Kurt und Kurt ins Aare-Tal gefahren, 60 Kilometer von Basel entfernt. Wir nehmen die A1-Ausfahrt Niederbipp und fahren den Hang rauf: Wolfisberg, Rumisberg, schließlich Farnern auf 800 Metern Höhe. Wir stellen den Wagen auf einem Wanderparkplatz auf 880 Höhenmetern ab, wo die Gemeinde sogar Wanderprospekte bereit hält. Los geht’s.

Kurt ist erst enttäuscht, weil der Wetterbericht gesagt hat, dass die Wolkendecke weiter unten bleiben würde, aber als sich das erste Blau über unseren Köpfen zeigt, taut er auf. Was noch schöner ist als der blaue Himmel, sind die dick Raureif überzogenen Bäume, mächtige Buchen, von denen freche Kobolde mit Schneebällen nach uns werfen. Der Boden ist wie mit weißen Sägespänen überzogen, zum Glück aber mit Altschnee knüppelhart gefroren, sodass wir beim Aufsteigen nicht einsinken. Ein kurzes Stück laufen wir auf asphaltiertem Sträußchen aufwärts, bis wir schon sehr bald den Wanderparkplatz „Bättlerchuchi“ (Bettlerküche, 1074 m) erreichen.

„Die Schweizer ballern in der freien Bahn”

Er ist Panoramapunkt und Klettereldorado zugleich. Fußlahme Kraxelkönige können den ersten Standplatz gleich an der Autostoßstange anlegen. Zehn vertikale Meter in bestem Kalkfels, nach Süden ausgerichtet, lassen ein paar Bohrhaken in der Sonne blinken. Wir passieren ein Felstor und biegen gleich links ab, um auf der Kammhöhe zu bleiben. Nun geht es quasi auf Messers Schneide nach Westen, links die Steilabbrüche, die ganz weit unten das Aaretal erahnen lassen, rechts das Hochtal Schmidenmatt.

Plötzlich zerreißt Geschützfeuer die Stille. Ein Manöver des Schweizer Militärs lässt Kurt sogleich ungute Erinnerungen wecken. Er war mal abseits der Wanderwege auf Tour, als es plötzlich knallte. „Die Schweizer sind nicht ganz sauber“, findet er im Nachhinein. „Die ballern in der freien Bahn!“ Genauso wie damals Kurt kommen wir  auch diesmal mit heiler Haut davon.

Die unvermittelte Teuerung des Franken

Die Stimmung hellt sich schnell wieder auf, als wir durch einen weißüberzuckerten Zauberwald stapfen, der durch kalte Schwaden immer wieder neu inszeniert wird. „Herrlich, oder?“, bekundet Kurt. Während wir über die Folgen der unvermittelten Verteuerung des Franken philosophieren, über unbezahlte Mehrarbeit in Schweizer Firmen, eine Explosion der Immobilienpreise auf deutscher Seite, Einkaufsfahrten und Schmuggeltouren über die Grenze erreichen wir das Hochkreuz. Der Sage nach ging ein geldgieriger Bauer hier einen Pakt mit dem Teufel ein und wurde zum Dank beim Umsägen des Holzkreuzes erschlagen. Wir befinden uns nun auf dem Jura-Höhenweg von Zürich nach Genf. „Im Sommer ist hier wirklich der Teufel los“, weiß Kurt. Jetzt haben wir das Privileg, die herrlich unberührte Natur für uns zu haben. Wir laufen auch nicht lange auf dem Jura-Highway, da zweigt nach rechts die Höhen-Variante ab. „Chamben“ steht auf dem gelben Wanderschild und dessen kalkfelsige Gipfelwand leuchtet uns einladend in der warmen Vormittagssonne herüber. Der ältere Kurt will nun endlich, nach eineinhalb stündiger Stapferei mal einen Schluck Tee trinken, aber der jüngere spornt an: „Nur noch zehn Minuten bis zum Bänkli!“

Die Parade der weißen Giganten

Erneut geht es auf Messers Schneide nach oben, noch rassiger die Tiefblicke, noch atemberaubender die Fernblicke. Und dann sitzt Kurt 1 auch schon auf der Gipfelbank des Chamben, 1251 Meter hoch und knapp zwei Meter entfernt vom Abgrund, ein Logenplatz allererster Güte! Fünf Minuten später verblüfft Kurt 2 mit der reichlich verspäteten Erkenntnis: „Da sieht man ja die Alpen!“ Ja, Kurt. Und wie! Das Auge kann sich schier nicht satt sehen an der Parade der weißen Giganten am Horizont, von denen die allermeisten uns inzwischen namentlich bekannt sind (jetzt auch das Sustenhorn und der Dammastock…)

Zu gerne würde er hier mal…

Vorbei an windzerzausten Krüppelkiefern und Latschen an der Abbruchkante führt der Gipfelweg weiter zu einem kurzen Abstieg, der bei Eis und Schnee gar nicht „ohne“ ist und zum Glück Halt an zwei Ketten bietet. Danach geht es auf eine freie Alm, die rechter Hand durch Steinhaufen begrenzt wird, die Kurt im Frühjahr, wenn dort die Krokusse blühen, als Steingarten bezeichnet, wo er, ja, er steht dazu, zu gerne mal eine Frau verführen würde. Er ist schon oft in seinem Leben dort vorbei gekommen. Bislang vergeblich. Ob die flotte Hildegard auf der nahen Stierenalp-Hütte von seinen geheimen Gelüsten weiß? Geplaudert wird dort so über dies und das mit dem Hüttenchef Üeli, ehe wir den Heimweg über den Berglehof antreten. Genau fünf Stunden hat die gesamte Wintertour gedauert. Aber jede Minute hat sich gelohnt!

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Kommentar zu “Auf Messers Schneide

  1. Hallo Kurt (Schupp),

    da habt ihr ja schon tolle Touren gemacht und was für gigantische Fotos.
    Da wird man richtig neidisch.

    Liebe Grüße

    Kuno

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