Ein wunderbarer Abstieg

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Schlendern kann manchmal unterirdisch geraten, im Sinne von: grottig. Zufällig hat unsere aktuelle Runde um Hirschberg bei Warstein etwas mit beiden Begriffen zu tun. Warum aber, fragen wir uns nach dem Besuch der Bilsteinhöhle, werden sie nur negativ belegt gebraucht? Denn es war ein wunderbarer Abstieg.

Dabei fängt die Wanderung mit einer folgenschweren Panne an: Die Kugelschreibermine hat ihre letzte Tinte gegeben, es krikelt nur weiß auf weiß. Alles im Kopf behalten, auswendig lernen? Erinnerungstechnik mit Symbolen hilft weiter.

Der rote Opel steht für: Mantaplatte. Die wird in Hirschberg in einem Imbiss hungrigen Wanderern angeboten. Leider geschlossen.

Der Igel für: zu kurze Haare. Die Friseurmeisterin hatte tags zuvor schon die Sommerklinge auf den Scherkopf gelegt, aber der Wind pfeift noch eisig um die Löffel.

Der Schneeball für: die unübersehbaren Zersetzungserscheinungen des Winters.

Der Totenkopf: für Franz‘ Flüche, weil seine im Netz ausgefuchste Route nicht mit den Wegmarkierungen der Wirklichkeit übereinstimmt.

Das blaue Parkplatzschild: für die nette Dame, die Martin neben ihrem Auto anspricht, ob sie nicht einen Kuli übrig…

Hat sie. Nein, sie wolle ihn nicht bezahlt haben, ein Kuss vielleicht, wenn sie jünger wäre… Martin kann sich in letzter Sekunde zusammenreißen ;-)

Vor 8000 Jahren wohnten Menschen in der Höhle

Wenig später stehen wir vor der Kasse der Bilsteinhöhle*, in die man nur per Führung gelangt. Heinz, der Höhlenführer, deklariert unser Trio eindeutig als „Andrang”, dem man nur per Extraführung Herr werden kann. Ach ja: Vorher klettern wir noch auf den Bilsteinfelsen, von dem die Höhle ihren Namen hat. „Bielstein” für Beilstein, weil er so spitz aufragt. Von oben grandiose Sicht über die Wälder sowie die darunterliegenden Wildtiergehege. Franz wagt das Leben seiner Kamera und stellt sie auf das schmale, schräg verzogene Schutzgeländer und drückt den Langzeitauslöser: Selfie von uns auf der Bank.

25 Meter unter uns haben vor 8000 Jahren noch Menschen gewohnt, in der Kulturhöhle, im Winter bei angenehmen 7 Grad, denn das ist die konstante Höhlentemperatur. Steinwerkzeug wurde hier entdeckt, Feuerstellen und Knochenreste, erzählt Heinz. Der Bach, der diese Kammern in Jahrtausenden aus dem Stein gewaschen hat, arbeitet aktuell an einer neuen Höhle direkt unter uns. Vom Austrittspunkt des Baches an der Erdoberfläche sind Speläologen dem Wasser gefolgt und kamen in der Bilsteinhöhle an. Überall, so scheint es, gibt es Verbindungen zur Außenwelt. In der 13 Meter tiefen „Katzenkluft” verschwand einst ein gleichnamiges Tier. Hinuntergelassenes Futter blieb unberührt. Offenbar fand die Katze wieder hinaus. Sagt: Heinz. Zwei Fledermäuse hängen ungerührt im Winterschlaf.

Die wo zusammenwachsen heißen Stalagnaten

Überhaupt: Hier unten, unter der Erdoberfläche, ist Horizont gefragt. Weite deine Sinne, gib deiner Phantasie die Sporen, denn nach dem Übergang durch die enge, hohe Spaltenhöhle folgt die Tropfsteinhöhle mit den unglaublichsten Kreationen. Sinterfahnen, Stalagmiten, Stalagtiten und Stalagnaten (sind die, wo beide aneinanderwachsen) gibt es, Makkaroni (dünn und hohl wie Nudeln), sehr zerbrechlich, weshalb man sie nicht mehr oft sieht. Die Große Halle, erklärt Heinz, war einmal voller Lehm gespült, mehr als 2,30 Meter hoch. In der Nixengrotte zeigt er uns Sintervorhänge, durch die die (künstliche) Beleuchtung bernsteinfarben schimmert, Zwergenfamilien, eine Burg und einen Elefanten; in der Halle der 60 Riesen wuchsen die größten Tropfsteine, der höchste mehr als 2 Meter hoch. Die kleinsten: in Gestalt von Maria und Jesus als Krippenfiguren, es hängen Eulen vom Höhlendach und dicke Schinken und Speckseiten und das, was deine Fantasie dir einflüstert, wenn du dich darauf einläßt.

Mächtige Rothirsche mit vielen Enden

Die nackten Fakten: Das Höhlensystem, vom Verein Bilsteintal seit ein paar Jahren von der Stadt Warstein gepachtet, misst 1800 Meter, 400 Meter davon sind begehbar. Das erzählen sie zumindest seit 100 Jahren. Sagt: Heinz. Und noch viel mehr, als wir hier wiedergeben können. Unsere Empfehlung: unbedingt (mit Heinz) ansehen!

Wir ziehen dankbar weiter, durch das Gehege der majestätischen Rothirsche mit Enden, die du nicht zählen kannst, rasten an der Rosenegge-Hütte des SGV auf sonniger Terrasse, folgen Franz auf „Pfaden”, deren Wegemarken sich irgendwann verlieren. „Gehe ich auch ganz gerne”, sagt er frohgemut, ein sicheres Anzeichen für Verlorenheit im Gelände. Aber wir Schlenderer verlaufen uns NIE, wir gehen, niemals murrend, nur andere Wege.

Hinter Böschungen und in Erdfalten, in schattigen Nordlagen, versteckt sich der Winter noch. Aber sein letztes weißes Hemd ist brüchig, sulzig und schlapp. Wir Drei treten ihn in den Arsch.

* Wir danken: Franz Kersting, der die Höhle 1887 entdeckte.

Franz_Michael_klein

 

Die Strecke wurde aufgezeichnet mit der Kompass-App:

[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://www.dieschlenderer.de/wp-content/uploads/Bilsteinhoehle1.gpx“]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*
Website