Der Weg in die Stille

Von Gerald (Text und Fotos) – Der Weg in die Stille der Alpen im Dreiländereck Schweiz – Frankreich
– Italien beginnt für Bergführer Eric Berclaz, wo die Passstraße des Großen St. Bernhard unter einer meterdicken Schneedecke verschwindet. Der 55-jährige Walliser hat die Felle unter seine Skier gepappt, dieSonnenbrille aufgesetzt und erzählt wenig später, wie er mit 17 Jahren zum ersten Mal im Winter zum Hospiz hoch oben auf dem Pass gestiegen ist.

Ein Kraftort, an dem die Chorherren des Augustiner-Ordens nahezu seit 1000 Jahren ohne Unterbrechung einen der gefährlichsten Alpen-Übergänge sicherer machen. Ob er ganz alleine unterwegs sei, wollte der geistliche Vorsteher damals wissen. Das sei gefährlich, meinte er, schnallte sich flugs die Ski unter die Mönchskutte, fuhr mit ab ins Tal, wo er mit dem jungen Schützling bei vielen Freunden auf einen Schluck einkehrte, so dass Eric sich am Ende kaum noch auf den Brettern halten konnte.

Zwei Stunden bis zur Passhöhe

Gut zwei Stunden dauert der Aufstieg vom Tunnelportal hinauf zur fast 2500 Meter hohen Passhöhe des Großen St. Bernhard. Zahlreiche Ski- und Schneespuren weisen den Weg, der nur anfangs auf der Straßentrasse verläuft. Die Lawinengefahr ist heute gering, berichtet der Bergführer, der sich vor jeder Tour bei der Schweizer Lawinenforschung SLF nach den aktuellen Bedingungen erkundigt. Die Skitour gilt heute als einfache Unternehmung und steht in keinem Vergleich zu jener verlustreichen Alpenüberquerung Napoleons mit über 46.000 Soldaten im Jahr 1800. Schon der Feldherr war dankbar für die Gastfreundschaft der Augustiner und ließ später am Simplon eine Kopie der Herberge errichten.

So ein Bernhardiner lässt sich gut vermarkten

Ein Besuch des Hospizes ist immer auch eine spirituelle Einkehr. Chorherr Raphael Duchoud greift freundlich die Hände der neuen Gäste, wärmt sie ein bisschen und bittet dann zu Tisch. Auch zwei Tourengängerinnen aus Colorado haben im Speisesaal unter einem mächtigen Kreuzgewölbe Platz genommen. Schon bald kommt das Gespräch auf die legendären Bernhardiner-Hunde, die die Mönche bei ihrer beinahe alltäglichen Rettungsarbeit unterstützten. Jene kräftigen Vierbeiner mit einem Fässchen Wein um den Hals sind zum Sinnbild beinahe einer ganzen Nation geworden. Raphael Duchoud berichtet, dass die starken Tiere den Weg der Retter einst im tiefen Schnee zu Hilfsbedürftigen gebahnt haben. Der berühmteste Bernhardiner, Barry, soll vor gut 200 Jahren alleine 42 Menschen das Leben gerettet haben. So ein Sympathieträger lässt sich natürlich gut vermarkten, so dass die Hunde auch in Zeiten von Mobilfunk und Lawinen-Pieper im Sommer noch als Touristenattraktion auf dem Pass anzutreffen sind. Der Chorherr macht keinen Hehl daraus, dass er die Stille der wintergesperrten Passstraße vorzieht.

Das ganze Jahr geöffnet
• Das Hospiz des Großen St. Bernhard auf der Grenze Schweiz-Italien ist das ganze Jahr über geöffnet und kann im Winter gut mit Schneeschuhen oder Tourenskiern erreicht werden. Vorab unbedingt die Lawinengefahr abklären, zum Beispiel bei www.slf.ch
• Das Hospiz verfügt über 130 Betten. Übernachtung mit Halbpension kostet ca. 50 Euro. Info: 0041277871236 (Französisch ist die Landessprache) oder www.saint-bernard.ch
• Verbier verfügt über das größte Skigebiet in der Schweiz mit mehr als 400 Pistenkilometern und ist das Mekka des Freeride. Televerbier überwacht die Freeride-Gebiete und sperrt sie bei Lawinengefahr.
• Anreise mit dem Zug über Bern bis Martigny, von dort weiter per Zug nach Le Chable. Mit der Seilbahn ins Gebiet.
• Infos: Tel. 0080010020030 (kostenlos) sowie www.MySwitzerland.com oder www.wallis.ch

Jetzt aber schnell noch einen Blick in die barocke Hospizkirche werfen, die diesen Grenzgang auch zu einer Wallfahrt macht. Wer hätte im Hochgebirge soviel Pracht vermutet? In der Krypta unter der Kirche zeigt Raphael Duchoud auf eine original Bruchstein-Mauer aus dem 11. Jahrhundert. Schließlich öffnet er noch den sogenannten Tresor, einen Ausstellungsraum sowohl mit Fundstücken aus der Zeit des Heiligen Bernhards als auch kostbaren Geschenken aus allen Jahrhunderten, die die Dankbarkeit geretteter Menschen erahnen lassen.
11.000 Menschen übernachten jedes Jahr im Hospiz für 50 Euro inklusive Halbpension. Doch Eric Berclaz drängt zum Aufbruch. In nur einer halben Stunde Abfahrt per Ski sind wir zurück beim Auto. Der Bergführer will mit uns in den mondänen Wintersportort Verbier, der sich nur ein Tal weiter den Hang hinauf frisst. Krasser könnte der Kontrast kaum sein, als ein Helikopter bei der Ankunft genau über unseren Köpfen dröhnt, Live-Musik nebenan aus einer Aprés-Ski-Bar schallt.

Stars, Königsfamilien, Milliardäre, Promis

Tourismus-Direktor Pierre-André Gremaud beteuert, dass Verbier in den letzten Jahren zwar stark gewachsen sei, seine Identität aber nicht verloren habe. Immerhin sei im Chalet-Stil gebaut worden. Verbier sei zwar das Ziel von Stars und Königsfamilien, Milliardären und Promis, aber viel legerer als Davos oder St. Moritz. „Warum kommen die Deutschen nicht mehr?“ will er wissen. Wir stehen vorm Sportgeschäft: 50 Schweizer Franken für den kleinen Skiservice. In einem der beiden Fünfsternehotels, das Audi für seine Promotion-Tour nutzt, kostet ein Gläschen Weißwein 15 Franken. Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage. Zum Mekka des „Freeride“, also zum Abfahren neben der präparierten Piste, hat sich Verbier entwickelt. Nicht zuletzt, weil das größte Skigebiet der Schweiz neben 18 offiziellen und bewachten Naturhängen auch mit ganz extremen Abfahrten aufwartet: dem Bec des Rosses, durch dessen Felswand sich Artisten wie Géraldine Fasnacht bei den Freeride-Weltmeisterschaften einen Weg suchen.

„Die Berge sind die besten Lehrmeister”

Feinste Kristalle stieben im Gegenlicht. Die sympathische Extremsportlerin ist Botschafterin von Verbier und hat sich zuletzt als erste Basejumperin mit ihrem Wingsuit am Matterhorn einen Namen gemacht. Es ist bezeichnend, dass gerade die Expertin für Risikosport mahnt, größtmögliche Vorsicht walten zu lassen. Sie würde nie bei Lawinengefahr jenseits der Piste starten. „Mein Leben ist zu kostbar, um es zu riskieren“, sagt die 35-Jährige. Es gehöre Stärke dazu, im Zweifel umzudrehen, das sei keine Schwäche. „Wenn Du Dir in den Bergen zu sicher bist, bist Du schon so gut wie tot“, sagt Geraldine Fasnacht. „Die Berge sind die besten Lehrmeister.“  Verbier ist nicht nur Ort des Freeride-Weltcups (2. April 2016), sondern auch Zielort des härtesten Skitour-Wettkampfs, der Patrouille des glaciers, die am 19. April im über 100 Kilometer entfernten Zermatt startet.

Zurück auf die Piste von Verbier. 400 Kilometer lang ist dieser Tummelplatz. Hier sind es auffallend viele Familien mit kleinen Kindern, die den Walliser Wintersport-Ort prägen. Tourismus-Chef möchte sie auch im Sommer anlocken: Mit Golfen, Beachvolleyball, Mountainbiken. Und vielleicht auch wieder mit den Deutschen.

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