Am Balmhorn

Von Gerald (Text und Fotos) – Das Zeitfenster ist kurz für Skitouren dieses Jahr. Schon alleine wetterbedingt. Ganze drei Mal in den letzten sechs Wochen waren die Schweizer Alpen vom Zuhause im Südschwarzwald zu sehen. Also ist das Ziel klar: Das Balmhorn (3698 m), das bei guter Sicht sogar an meinem Schreibtisch von Ferne grüßt. Gut zwei Stunden dauert die Fahrt, mühelos erwischt man die erste Gondel um 8.30 Uhr ab Kandersteg am Lötschenpass, um nach Sunnbüel auf knapp 2000 m hoch katapultiert zu werden.

Die Ski werden untergeschnallt, dann geht es im Skateschritt erst Mal leicht hinunter zur Spittelmatt, wo am tiefsten Punkt auf 1870 m die Felle unter die Ski geklebt werden. Gleich hinter dem Sagiwald, der mehr mit Sägen als mit Legenden zu tun hat, beginnt der Aufstieg Richtung Balmhorn. 

Leuchtend orangefarbene Joppe

Als ich gleich die Jacke ausziehen kann, muss ich schmunzeln. Die High-Tech-Bergjacke hängt daheim gut am Kleiderhaken. Im Auto liegt zum Glück immer die alte Streikjacke des Deutschen Journalistenverbands. Die drohende Schließung der Rundschau-Redaktion konnte vor drei Jahren und drei Monaten durch Demos zwar nicht abgewendet werden, aber für Dreckarbeiten ist die leuchtend orange  Joppe immer noch von Nutzen.
Als ich den Kegel der alten Lawine überwinde und auf den Moränenwall des Schwarzgletschers steige, ist klar, wohin die Gedanken schweifen. Zu den Kollegen von einst. Schlagartig wurde jedem Redakteur ein neuer Lebensweg aufgezwungen. Nur zu einer Handvoll ist der Kontakt über die Distanz von 520 km bestehen geblieben. Erst am Wochenende war dib – erneut – bei uns und hat berichtet, was Der- oder Diejenige treibt und wer in den letzten Wochen gestorben ist. Damit ist mein Tagesmotto klar: CARPE DIEM!

Der Schwarzgletscher, eine gigantische Bobbahn

Auf einmal liegt mein Tummelplatz prächtig vor mir: Wie eine gigantische Bobbahn zieht sich der Schwarzgletscher weiß gleißend kilometerweit hinein, flankiert von himmelhohen Felswänden. Man muss schon den Kopf weit in den Nacken legen, um da auf zu blicken, und es verblüfft mich immer wieder, dass diese schier unerreichbar hohen Berge wenige Stunden später zu meinen Füßen liegen werden.
Viel leichter als gedacht verläuft der Anstieg auf dem Gletscher. Die Steigung ausgesprochen moderat, fast ein Spaziergang im Hochalpinen. Es ist windstill und absolut lautlos. Auch die Weste verschwindet im Rucksack. Jetzt kreisen die Gedanken zu den neuen Kolleg(inn)en, die als Reiseleitung zumeist amerikanische Gäste zu den Sehenswürdigkeiten in Schwarzwald, Elsass und der Schweiz führen. Dass es letztlich so leicht ist, ein völlig neues Leben zu führen!

Hinauf zum Zackengrat

Noch ein gedanklicher Gruß an Hilde, die jetzt bestimmt mit der Visite ihrer Schwarzwaldklinik beschäftigt. Links ab verschwindet der Schwarzgletscher um eine Ecke. Der Weiterweg dort liegt hinter einer Biegung außer Sichtweite. Ich entscheide mich für den steilen Aufstieg direkt vor meiner Nase, hinauf zum Zackengrat! Die Zickzackspur schenkt mir nichts. Immer wieder mal rutscht ein Ski auf pulverigem Treibschnee kraftraubend weg. Nach zweieinhalb Stunden Aufstieg ist die magische 3000-Meter-Marke erreicht. Ich gönne mir einen ersten Schluck Tee. Wenige Minuten später ist der Col (3031 m) erreicht, der erstmals Weitblicke nach Süden und Osten erlaubt. Herrlich! Alleine dafür haben sich die Mühen schon gelohnt.

Im Nu sind die Haare weiß, die Spur verschwunden

Links beginnt also der Zackengrat über einen Felskamm, der rechts von bizarren Schneewächten wie Wogen über bodenlosen Abgründen flankiert wird. Die Bedingungen sind optimal. Nur an wenigen Stellen muss ich die Ski abschnallen, um Steilstufen oder nackten Fels zu überwinden. An der ungemütlichsten Stelle der gesamten Tour mit senkrechten Abbrüchen links und rechts stehe ich auf einmal in der Wolke. Stürmische Windhosen lassen den Schnee wild aufstieben, hüllen mich ein. Im Nu sind die Haare weiß. Eisbrocken bilden sich auf der Brille. So schnell geht das! Himmel und Erde verbinden sich zu einem konturlosen Weiß. Weg ist die Spur! Die 100 Kilometer Weite reduziert sich schlagartig auf einen Quadratmeter. Ich bin 3500 Meter über dem Meer und seit viereinhalb Stunden im Aufstieg. Der Gipfel knapp über mir steckt in der Wolke und von Westen schiebt eine schwarze Front heran, als ich mein Tagesziel ändere. Kein Gipfel, nur heil runter.

Traverse über eine heikle Eisplatte

Im Internet hatte ich gelesen, dass die Abfahrt mit der Traverse über eine heikle Eisplatte beginnt, unter der ein 500 Höhenmeter hoher und 45 Grad steiler Eispanzer in die Tiefe zieht. Tatsächlich ist die gesamte Gletscherflanke steinhart vereist und ich danke den Mitarbeitern von Cristal Sport im Wallis, dass sie die Kanten der Ski so gut geschärft haben. Erst hinten am anderen Ende der Gletscherflanke endet das Eis und erlaubt ein Abrutschen auf Harsch. 400 Höhenmeter rutsche ich seitwärts sachte ab, ehe der erste Schwung möglich ist. Als es flacher wird, kehrt die Sonne zurück, der Gipfel ist wieder frei und der Spuk vorbei. Eine ganze Stunde dauert die Abfahrt hinunter zur Spittelmatt auf weichem Sulz mit immer dickeren Oberschenkeln, zuletzt gleicht es mehr Wasserski.

Zu allem Überfluss müssen nun noch einmal die Felle angelegt werden. In einer halben Stunde führt der Winterwanderweg zur Seilbahn. Dann hat man sich das Panaché auf der Sonnenterrasse wahrhaft verdient. Der Blick geht nochmal zurück in die großartige Bergwelt, als wäre nie ein Mensch dort oben gewesen.

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2 Kommentare zu “Am Balmhorn

  1. Hallo, wieder mal ein Alleingang von Gerald, was man, wie man weiß, nicht tun sollte. Aber mutig, gewagt, aber auch mit einem großen Maß an Kondition und Können geht er es halt an. Der Erfolg bestätigt ihm dies. Der wichtige Teil der Geschichte: Gerald hat sich gut über die Tour erkundigt und hat diese auch richtigerweise kurz vor dem Ziel abgebrochen. Dies muß man auch erst mal können, so eine Entscheidung ist schwer und tut weh, zumal das Wetter anschließend wieder gut war. Ich kann dies sehr gut nachvollziehen, da ich bei einer Begehung des Balmhorns mit geplanter Überschreitung des Grates zum Altels, aus Tagesformgründen die Überschreitung nicht mitmachte und meine Kameraden dies alleine taten.
    Danke für den tollen Bericht und immer schön vorsichtig bleiben, der Berg verzeiht keine Fehler/Fehlentscheidungen.

    • Hallo Kurt, das sehe ich genauso wie Du. Gerald hat uns, Franz und mir, eine belastbare Kondition und mehr alpine Erfahrung und mehr Wagemut voraus. Wir toben uns hier im Sauer/Siegerland und Ruhrgebiet aus. Grüße in den Süden von Michael

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