Endstation Sehnsucht

Von Franz (Fotos) und Michael (Text) – Am Morgen nach Sankthans, der Feier nach der Sommersonnenwende auf den Lofoten, ist in Ballstad auf der Insel Vestvågøya, keine Menschenseele zu sehen. Nur das Janken der Möwen und das Rauschen einer steifen Brise ist zu hören. Na, wer geht auch schon mit einem Kater auf den Nonstinden?

Wir haben Sankthans zünftig mit Feuer, Rømmegrød, Rentierschinken, Pølsern und (nur) ein paar Bier an Bennos Rorbu am Nappstraumen gefeiert und sind entsprechend fit. Der torfig-weiche Untergrund des engen Pfades federt angenehm unter unseren Füßen. Was Franz vor mir ruft, kann ich leider nicht verstehen. Der Wind trägt seine Sätze fort in den azurblauen Himmel. Man muss auch nicht groß reden: Die überwältigende Aussicht über die Insel und das Fischerstädtchen Ballstad nimmt dich voll in Beschlag.

Das weiße Gold der Lofoten

Wir entsteigen dem Gestank der Fischköpfe, die leiblos auf den Trockengestellen hängen. Die Filets sind längst als bacalao oder bacalhau, als Stockfisch, auf die iberische Halbinsel, in die USA und nach Italien exportiert worden. Der Rest, die Köpfe, werden irgendwann in Nigeria oder Kenia als eiweißreiche Zutat in der Fischsuppe landen. Wer mehr über Stockfisch erfahren will, guckt hier. Die Fischerboote, mit denen das weiße Gold der Lofoten eingeholt wird, sehen artig (norge für: lustig) aus. Kurz und hoch, wie Schuhkartons, also im Prinzip wie unser uralter Mietwagen, ein Nissan Micra. Immerhin sorgen wir bei den Einheimischen für ein Schmunzeln, wenn zwei lange Kerls aus dieser Schachtel steigen.

Unten leuchtet der Nappstraumen

Der Wind nimmt Fahrt auf. Der Schirm der Kappe flattert heftig, Kapuze drüber und Schotten winddicht machen. Vom Nonstinden (459 m) reicht der Blick bis Moskenes hinüber, die Insel Røst und Varøy sind als Schatten am Horizont zu sehen, auch das Festland ragt aus dem Dunst. Ein Fischerboot läuft Ballstad an und sieht von hier oben noch niedlicher aus. Von einem Bergsattel können wir steil hinunter auf den leuchtenden Nappstraumen blicken. Berg und Meer sind nirgendwo so eng verzahnt wie auf den Lofoten. Irres 360-Grad-Panorama!

Hier ein Haus bauen!

Schlagartig ziehen vom Nappstraumen dichte Schwaden hoch und verhängen die Sicht auf den Skottinden und seine Nachbarberge. Wir klemmen uns das Stochern im Nebel und den Gang auf den Munkan und laufen stattdessen westlich über die Ballstadheia-Hochebene rüber zum Brurstolen. Yø, ein bisschen aufpassen muss man schon auf dem scharfen Grat. An der hintersten Ecke, da, wo man nur mit viel Risiko weiterklettern könnte, hauen wir uns auf die drahtige Heide, lehnen die Rücken an einen Felsen und schauen hinaus auf den Vestfjord, der im Sonnenlicht silbrig schimmert. Wildheit, Ruhe und Weite. Hier ein Haus bauen, schießt es einem durch den Sinn und im gleichen Augenblick auch die Törichtheit dieses Gedankens.

Hier, in dieser grandiosen Naturkulisse, hat der Mensch dauerhaft nichts verloren. Er darf nur Gast sein in der Endstation der Sehnsucht.

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