Zweifeln und scheitern

Von Gerald – Googelt man Skitour und Albristhorn im Berner Oberland, so strahlt einen gleich das sonnige Gipfelglück an. Liest man Tourenberichte, so gibt es fast nur großartige Unternehmungen, idealerweise mit ein, zwei Knackpunkten, die der alpine Held unter Aufbietung seines Könnens glücklich meistert. Aber was ist mit der dunklen Seite der Abenteuer, dem Zweifeln oder gar dem Scheitern? Davon soll heute mal die Rede sein.

Es geschah an einem Sonntag, den 13. März. Nein, nicht dass der Autor abergläubisch wäre. Er hatte sich besagten Zapfen oberhalb von Adelboden ausgeschaut. Mit 2700 Metern Höhe genau das Richtige für eine Tagestour, noch dazu in diesem kühlen März. Vom Albristhorn hatte der Autor noch nie gehört, aber im Internet gelesen. Dort haben andere ihm fünf Sterne für seine Popularität gegeben. Und drei Sterne für die Schwierigkeit.

Man ist früh aufgestanden, damit das Vorhaben um 7.30 Uhr mit der ersten Sonne in Adelboden starten kann. Dort, wo die Skier untergeschnallt werden müssen. Doch Sonne gibt es an diesem Sonntag nicht. Stattdessen Hochnebel. Ein Fuchs trollt sich über verschneite Almhänge hinüber zum Waldrand. Erfreulich ist immerhin, dass ein gelbes Wanderschild den Abzweig vom Fahrweg anzeigt. Und dann, als der Motor aus ist, breitet sich unheimliche Stille aus. Niemand, wirklich niemand weit und breit.

Stille

Immerhin zieht hinter dem gelben Wanderzeichen eine Skispur bergwärts. Also werden die Skier schnell aufgefellt. Und endlich los! Ich folge der einsamen Spur ins weiße Nichts. Wenig später geht es über einen rauschenden Bergbach – natürlich mit den Skiern. Lass bloß die Felle nicht nass werden! Nochmal gut gegangen. Vor mir, das muss das Albristhorn sein, aber es zeigt nur seine schrundigen Füße, der Rest ist in weiße Wattebäusche gehüllt. Wusste der Franz mehr, als er mir eine „gute Sicht“ wünschte?
Dafür wird jetzt der Blick zu den Hängen rechts frei, die zur Furggi-Alm und zum Furggpass raufziehen. Es handelt sich um komplett lawinöse Hänge. Mal ist der Schnee auf steilen Matten einfach wie eine zu schwere Decke runtergerutscht, mal ist die weiße Pracht durch steile Tobel machtvoll heruntergedonnert . Da soll ich rauf? Der Verstand sagt: Gut, dass die Dinger nun schon mal dem Gesetz der Schwerkraft gefolgt sind. Oder: Was liegt, das liegt. Das Gefühl hingegen ist stark beeindruckt von den gewaltigen Urkräften und warnt: Achtung! Unsicheres Terrain!

albristhorn4   albristhorn3

 

albristhorn1   albristhorn2

Ohne Wegzeichen und Markierungen verlässt die Skispur jetzt den Talboden und schraubt sich einen Steilhang zur rechten herauf. So, als würde es die ganzen Lawinenkegel über mir nicht geben. Dem ersten steilen Aufschwung folgt ein kurzer, aber sehr ausgesetzter Grat. Im Sommer würde man drüber lachen. Aber jetzt ziehen Eis und Schnee zu beiden Seiten absturzgefährlich tief hinab.

Zweifel

Zum ersten Mal wird ernsthaft gezweifelt. Es entwickelt sich ein Zwiegespräch mit mir selbst. Ist das überhaupt richtig? Und wofür? Aber nein, so schnell gibt man nicht auf. Ein Gipfel als „Mitbringsel“ macht sich immer gut. Ja – nein – ja – nein.
Beide Seiten des Ichs tauschen Argumente aus.

Am Ende siegt das Ja. Und die zweifelnde Hälfte muss trotzdem mit.  Jetzt in einer sehr steilen engen Rinne, in der etwas weiter oben eine Hunderte Meter lange Lawinenwurst hängt. Genau, wo Schnee-, Eis- und Erdbrocken, auch ein paar Bäume zum Liegen gekommen sind, geht es rechts aus der Rinne heraus auf den Hang mit seinen Schneebrettern. Unschöne metertiefe Spalten lassen die braunen Matten darunter erkennen. Die würden den Schnee gerne ganz abschütteln und die Frühlingssonne heranlassen. 

Huch, jetzt ist ja auf einmal richtig Nebel. Das Weiß der Landschaft und der Wolken verbinden und verbünden sich – gegen mich. Nicht mal die einsame Spur, der ich gefolgt war, ist mehr zu sehen. 400 Höhenmeter habe ich in einem guten Tempo gemacht, aber jetzt kommen die Zweifel wieder daher. Was für ein Drecksberg! Nicht mal schön. Findest Du im White0ut überhaupt den Weg zurück? Rechts und links gibt es keine Auswege.

Das andere Ich gibt sich cool: Komm hab Dich nicht so, Du Weichei! Bist schon ganz andere Zapfen rauf. Weiter oben sehen wir klarer. Oder? Nein. Heute gibt es kein weiter oben. Erinnerungen an frühere Abbruch-Touren werden wach: Das Weißhorn, mit einem fetten Felssturz in der Gipfelwand aufgrund tauenden Permafrostes. Oder der Aconcagua, als sich über Nacht im Hochlager bei 6000 Höhenmetern der berüchtigte Viento blanco, der weiße, eisige Wind einstellte und  ich mich auf 6500 Höhenmetern mit leichten Erfrierungssymptomen erst schweren, dann immer leichteren Herzens an den Abstieg machte.

Abbruch

Das Albristhorn wird heute ohne mich auskommen müssen. Und überhaupt. Auf der Abfahrt stelle ich fest, dass ich der einzige bin an diesem angeblich so populären Berg. Soll er heute seine Ruhe haben! Und ich auch!

albristhorn5

 

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht unter "rauf" und "verschlagwortet" mit ".
Direktes Lesezeichen zu diesem Beitrag: permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*
Website