Zum Ötzi latschen

Von Dorothe (Fotografie) und Michael (Text) – Wenn der Ötzi, wie Wissenschaftler vermuten, hier vor rund 5300 Jahren vorbeigekommen sein könnte, muss er ein Ausbund an Ausdauer und Zähigkeit gewesen sein, ein wahrhaftiger Teufelskerl. Schließlich läuft unsereiner heutzutage in federleichter Hightechkleidung durchs Tisental hinauf und nicht in Fellhosen und primitiven, grasgepolsterten Lederlappen an den Füßen.

Der sensationelle Fund der Gletschermumie 1991 durch zwei deutsche Bergwanderer am Tisenjoch (3210 m) hat vor allem die Phantasie der Südtiroler Touristiker befeuert. Es gibt einen Ötzi-Rope-Park am Vernagt-Stausee, einen Archeo-Park im Ort Unsere Frau in Schnals mit Mitmach-Angeboten, Stichwort: Leben wie einst Ötzi in der Kupfersteinzeit, archäologische Wanderwege und nicht zuletzt die Fundstelle der Leiche in luftiger Höhe am Tisenjoch.

„Vereiste” Fahrbahn bergauf

Da wollen wir hin, werden es aber nicht schaffen, so viel vorab. Schon bei der Anfahrt ins Schnalstal klingelt die Glatteiswarnung: 4 Grad Celsius Außentemperatur, die sich bis zum Tisenhof noch auf 2 Grad absenken. Raureif liegt in den Schattenlagen, an den Bächen hat Frost die Gräser mit funkelnden gläsernen Mänteln umhüllt. Wir ziehen gut Luft, nur das Keuchen des Atems übertönt das Murmeln des Tisenbaches. Weiter oben im Tal wird die Sonne intensiver, der Wind kälter, eine heftige Nordströmung. Und so treffen wir gelegentlich auf eine vereiste „Fahrbahn” durch gefrorene Rinnsale im Steig. Erstaunlicherweise stoßen wir auch auf Abdrücke grobstolliger Mountainbikereifen. Wenn das der Ötzi wüsste!

Bewaffnet mit Steigeisen und Pickel

Der Steig, von oben besehen: eine fast geradlinig ansteigende Angelegenheit, eine Diretissima, nur die linke Schulter des Niederjochs (3019 m) liegt noch vor uns, ein roter Steinturm, hinter dem die Similaun-Hütte liegt. Endlich da! Und merken schnell: Als Bergwanderer bist Du hier nur ein kleines Licht, da laufen andere Kaliber herum, junge, sehnige Kerle und Weiber, bewaffnet mit Steigeisen und Eispickel. Wie kläglich nimmt sich dagegen Ötzis einfaches Kupferbeil aus, wie hoch aber seine damalige Leistung.

„Ja!!! Oben gewesen!”

Apfelstrudel und Zwetschgenkuchen fluten die ausgezehrten Zuckerspeicher, doch auf der Similaun-Hütte wird man auch vom Bergegucken satt. Der Similaun mit dem Niederjochferner liegt direkt vor unseren Augen, historische Aufnahmen aus den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts verdeutlichen den enormen Masseverlust der Eispanzer. Auch seine Majestät der Alpen Südtirols, der Ortler, lässt sich mit seinem massigen Eisbuckel von hier oben gut ausmachen.

Eine Seilschaft platzt in den Gastraum, frisch vom Gipfel zurück. Einer, der ausschaut wie der junge Heinz Erhard, kann sein Glück kaum fassen und jubelt: „Ja!!! Oben gewesen” und macht mit dem rechten Arm die „Säge”. Immer wieder versichern die Bergsteiger ihrem jungen Führer ihren Dank für dieses gelungene Abenteuer. Für die knapp 600 Höhenmeter Aufstieg über den Gletscher bis zur Sitze des Similaun (3606 m) benötigte die Seilschaft keine Steigeisen. „Der Schnee war gut und oben war es einfach super”, erzählt uns einer von ihnen.

Wir kommen dann mal wieder

Neidisch sind wir schon. Unsere letzte Gletschertour auf die Hochalmspitze in den Hohen Tauern ist Jahre her. Sollen wir wenigstens zur historischen Fundstelle weiter, rund 75 Minuten und weitere 200 Höhenmeter entfernt? Da tönt es aus dem (familiären) Hintergrund: „Zu dem Ötzi latsche ich jetzt aber nicht mehr rüber.” Okay, 1300 Höhenmeter sind genug und die Hüttenwirtin liefert ein weiteres zwingenderes Argument: Der Steig ist verschneit und in der Mittagssonne aufgeweicht. Wir kommen dann mal wieder und bringen einen Eispickel mit oder ein Kupferbeil…

Doro_80x80Michael_Autor

Die Tour wurde aufgezeichnet mit der App outdooractive:

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