Der Rest ist Aussicht…

Von Franz (Fotos) und Michael (Text) – Den Ort, um den wir heute laufen, kennt kaum jemand. Oder weiß irgendwer, wo Rärin liegt? Hier in der Ecke gibt es jede Menge -lin und -in: Wellin, Alfrin, Danklin, Germelin, Reblin, Waldmin.
Deutschlandkenner tippen vermutlich auf den Osten Deutschlands oder das alemannisch geprägte Markgräflerland vor Basel, dabei liegt die Erkenntnis so nahe. Rärin, ein abgelegener Weiler, liegt auf einer Hochebene oberhalb von Herscheid, zu dem es gehört. Die Entstehung des Örtchens wird mit der sächsischen und fränkischen Expansion verbunden, weiß Wikipedia, Rärin ist also ziemlich alt.

Der dritte Frühling ist schon früher da

Um da hoch zu gelangen, muss man Schauer ertragen, Graupel, Schnee und für den Nebel eine Gartenschere zum Zerteilen haben, dabei ist der dritte Frühling doch schon da. Der phänologische Frühling kümmert sich nicht um seine meteorologischen und astronomischen Brüder, er fängt an, wenn es wärmer wird und das Grünzeugs sprießt und die Fauna in Bewegung kommt. Alles ist in diesem Jahr früher: die Narzissen Mitte Februar, der erste Bärlauch auch und auch Franz muss früher früh aus den Federn, weil die Kröten schon wandern und er sie hinterm Krötenzaun in Dortmund-Wischlingen einsammeln muss. Der Rotmilan zieht nicht mehr aus dem Sauerland weg, er harrt über Winter aus. Mann, hier oben sind wir im Januar 2017 mit Schneeschuhen rumgestocht und haben eine Winterbegehung der Hohen Molmert gemacht!

Grüner Filz, mystisch anmutend

Am Haus Grimminghausen am Fuße des Hasenbergs hellt der Himmel auf. Das adrette Herrenhaus gehörte zum gleichnamigen Rittergut, das um 1400 erstmals erwähnt wurde. Westlich davon führt ein matschiger Pfad an einem Bach hinunter. Ein mächtiger Baumgreis reckt seine kahle Krone hoch, Reste zerfallener Gebäude und Geäst sind mit grünem Filz überwuchert, mystisch anmutend, Franz war fotografisch ganz hingerissen.
Unseren nächsten Stopp machen wir an einer Bank nahe Kleinhammer. Kontrapunktisch zu der Stille am Haus Grimminghausen tost hier ein Höllenlärm, Quelle ist ein großer Steinbruch am Berg gegenüber. In diesem Waldstück möchtest Du auch als Reh nicht wohnen.

Ein Niesen des Windes

Auf unserer Strecke stoßen wir immer wieder auf große, umgestürzte Fichten. Offenbar haben auch die unermüdlichen Regenfälle der vergangenen Wochen dafür gesorgt, dass manch ein Baum umfiel. Der Boden um die Wurzelteller ist weich und tief, mit Wasser vollgesogen wie eine nasse Wolldecke, aufgegangen wie ein Hefeteig. Gerade an Steilhängen genügt ein Niesen des Windes…

Shriek! 1,5 Milliarden Borkenkäfer!! Pro Baum!!!

Es muss also nicht immer nur Sturm oder der Borkenkäfer sein, der den Fichten zusetzt. Aaaapropos Borkenkäfer. Glaubt man den VertreterInnen des Qualitätsjournalismus, ist das Ausmaß des Borkenkäferbefalls unserer geliebten Fichten viiiel entsetzlicher, als man bislang glaubte. So verkündete eine Redaktion aus dem Kreis Olpe, dass „nach einschlägigen Berechnungen … in einem Baum innerhalb eines Jahres bis zu 1,5 Milliarden Borkenkäfer ihr Unwesen treiben“ können. Mmmh. Käfergröße (0,7 bis 12 mm) mal 1,5 Milliarden – also, ich bin Journalist geworden (bzw. gewesen), um nie wieder rechnen zu müssen, aber bei einer solch irrsinnig hohen Zahl ist Nachprüfen Pflicht. So stellt sich heraus, dass aus der Borkenkäferpopulation eines einziges Baumes rechnerisch eine mögliche Nachkommenschaft von 1,5 Milliarden Käfern im nächsten Jahr entstehen kann. Immerhin haben die RedakteurInnen Journalismus-Regel Nummer 2 angewendet: Durch Recherchieren versaust Du dir die beste Geschichte.
Zum Schluss zu etwas ganz Anderem: Die Ruhebank kurz vor Rärin ist spitze! Hier wusste jemand, wo man solche Entschleunigungs-Instrumente hinstellt. Der Rest ist Aussicht…

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