Eine neue Liebe

Von Michael – Was kann schon dabei herumkommen, wenn sich drei Brüder mit sehr unterschiedlichen Trinkvorlieben auf den Weg zur weltgrößten Messe ProWein machen? Ein Block voller Probennotizen (Auszüge siehe unten), eine noch längere Wunschliste, eine Menge Spaß sowie eine lehrreiche Erkenntnis.

In den Zug nach Düsseldorf steigen: ein Rigorist, der außer Riesling und Spätburgunder kaum andere Trauben gelten läßt; ein Monothematiker, der alles aus Franken bevorzugt, und, tja, ein anpassungsfähiger Weinspezi, der überall auf der Welt zurechtkommt. Hauptsache, iss was im Glas!

Brennfleck ist für uns die Entdeckung

Gleich die erste Verkostung ist für uns die Entdeckung auf der 2017er ProWein. Zufälligerweise landen wir bei Susanne und Hugo Brennfleck aus Sulzfeld am Main. Franken, war ja klar, und sein Silvaner. Wer ziemlich früh in seiner Weinsozialisation mal an schlechte Silvaner geraten ist (ich), hat seitdem ein Problem, verbindet die Weine mit einem aufdringlichen Klümpchen-Ton und einem dünnen, säuerlichen Geschmack und macht fortan (30 Jahre) einen Bogen um die Sorte. Glücklicherweise gibt es Winzer wie Hugo Brennfleck, der Sauerländer Sturköpfe mit einer ausgezeichneten Silvaner-Auswahl überzeugen und auf den rechten vinophilen Weg zurückführen kann. Die Lektion: Es ist auch im fortgeschrittenen Alter nicht zu spät für eine neue Liebe. Die Kollektion: Keine Spur von Drops*, feinduftige, mineralische Weine mit mittlerer, gut eingebundener Restsüße.

Der Probenzettel der Silvaner-Kollektion

Brennfleck 2016 Silvaner trocken: ein unkomplizierter Wein, langes Feinhefelager, die 13% Alkohol schmeckt man ihm nicht an.
2016 Iphöfer Kronsberg Kabinett: auf Keuper gewachsen, mineralisch, moussierend, kräuterige Anklänge.
2016 Anna-Lena, Kabinett tr.: 4-5 Gramm Restsüße, Apfel- und Birnenfrucht, kreidig im Mund, mit 40.000 Flaschen der meistverkaufte Wein des Gutes.
2016 Sulzfelder Sonnenberg Alte Reben: von 47 Jahre alten Weinstöcken gelesen, gut eingebundene Säure, durch Kohlensäure spritzig wie alle Brennfleck-Silvaner, Kräuter- und Heu-Aromen.
2016 Blauer Silvaner „S“ Sonnenberg: Dezenter Petrolton in der Nase, der erste Schluck ein trockener Schock mit brennender Würze im Abgang. „Ein Spezialistenwein“, meint Hugo Brennfleck.
2016er Sulzfelder Maustal- und Iphöfer Kronsberg-Silvaner „S“, auf Muschelkalk bzw. Keuper gewachsen, Beispiele für Weine, die mit dem strapazierten Begriff „Terroir“ belegt werden.

Können sich Bodenarten und ihre Mineralien überhaupt im Wein ausdrücken? Klar, sagt Hugo Brennfleck. Im Wasser, das die Rebenwurzeln aufnehmen, sind die im Boden vorhandenen Mineralien gelöst. Linde Jost vom Weingut Toni Jost/Hahnenhof drückt es drastischer aus. "Versuchen Sie mal, eine Pflanze mit destilliertem Wasser zu ziehen. Sie macht sehr schnell die Grätsche. Pflanzen brauchen Elektrolyte. Die Mineralität unserer Weine verdanken wir dem Schieferboden." Terroir sei das Zusammenspiel von Rebsorte, Boden und Kleinklima und, ganz wichtig, geringen Erträgen.

Der 2016er Maustal ist extraktreich, frisch, fruchtig und elegant, nachhaltig im Mund; der Keuper-Silvaner vom Kronsberg eindeutig mineralisch in der Nase, vereint am Gaumen Frucht und Kreide und hinterlässt eine salzige Note.
2016 JHB Johann, Sylvaner "S": spontanvergoren und leicht oxidativ, da im großen Holzfass ausgebaut. Exotische gelbe Früchte (Ananas), total andere Stilistik, die die Silvanerfrucht verdeckt. Wenn man nicht wüsste, es ist ein Silvaner, würde man auf einen Chardonnay tippen, sagt Hugo Brennfleck.
2015 Mönchshöflein Großes Gewächs: sorgfältige Einzellese, teils in Edelstahltank und Holz vergoren und vermählt, zunächst mineralische Noten und Würze, entwickelt sich der Wein erst nach einiger Zeit im Glas zur seiner vollen Größe. Opulente Frucht, Kräuteraromen, vielschichtig, tief. Mann, jetzt was Richtiges zu essen dazu, einen Skrei, auf der Haut gebraten mit Orangen-Risotto... Mit einem seligen Seufzen schlendern wir weiter.

Wahlkampf der Spitzenklasse

Wahlkampf der Spitzenklasse macht das Weingut Hahnenhof vom Mittelrhein: kompetent, mitreißend, lebendig. Mit so einem Team kannst Du Kanzler werden, Martin. Allerdings gilt der Einsatz der Familie Jost zu 100 Prozent ihren Reben. Die Faßproben der 2016er Jahrgänge zeigen sich noch sehr verschlossen. "Das Jahr zuvor war ein wertvolles, sehr hochwertiges Jahr mit guter Ausreifung der Reben", sagt Linde Jost. Der 2016 Bacharacher Hahn zeigt mineralische und Zitrusfruchtanklänge und ist niedriger in der Restsüße als der 2015er, der sich feinfruchtig, animierend und ausgewogen trinkt. Regelrecht pikant: die Oberdiebacher Am Schloßberg Spätlese mit scharfen Fruchtnoten (Pfirsich, Ananas).

"Sister Act" ein komplexer Silvaner

Nur Faßproben der 2016er Weine schenkt das Weingut Wirsching/Franken aus. "Wir sind keine Freunde der frühen Füllung", sagt Armin Huth. Das Jahr brachte Saft und Fülle und Würzigkeit vom Keuperboden. Iphöfer Julius Echterberg Silvaner Erste Lage: noch sehr frisch, schlank und feinduftig. Der Kronsberg Erste Lage zeigt Feuerstein- und kräuterwürzige Noten. 2015 "Sister Act", das sind die beiden Wirschingtöchter Andrea und Lena, weicht von der schlanken Silvanerlinie ab. Die Selektion alter Reben wurde auf der Maische vergoren und bringt Holz- und Ananasnoten mit, ein vielschichtiger Wein.

Frucht, Spritzigkeit, Mineralität = Franzen

Ein ausgewogenes Spiel von Frucht, Spritzigkeit und Mineralik bringen die Mosel-Rieslinge von Angelina und Kilian Franzen mit sich. Der 2016 Quarzit ist ein spontanvergorener toller Sommer- und Zechwein. 6,5 g Restsüße, mineralisch-kreidig, "der Wein wächst auf diesem Boden", sagt Angelina Franzen und zeigt Bodenproben aus dem Bremmer Calmont, dem steilsten Weinberg Europas.  "2016 Der Sommer war sehr groß": fruchtige Cuvée aus drei Lagen, 7 Promille Säure werden von 10 g Restsüße gepuffert. 2015 Bremmer Calmont: deutliche Mineralität, charmant im Glas und auf der Zunge.

Der beste Roséwein der Welt

Beim Südtiroler Weingut Elena Walch schenkt uns Heinrich Bergmann 2015er und 2016er vom besten Roséweine der Welt ein. Lagrein, Merlot und Blauburgunder steuern Frucht und Farbe zum "20/26" bei. Der aktuelle Jahrgang (13,5%) ist noch nicht voll entwickelt, der aus 2015 duftet fein nach Weinbergpfirsich und Rhabarber und zeigt, dass auch ein Rosé ein eigenständiger Wein sein kann. 2015 Pinot Grigio Schloss Ringberg: stoffig, elegante Struktur, salzig im Mund. 2012 Schloss Ringberg Lagrein Riserva: 20 Monate Fassausbau, Brombeer, Holunder, Schokowürze, Vanillesüße, Gerbsäure - Frucht und eine Wucht, die in die Füße fährt (an diesem Tag). 2013 Kermesse: Cuvée aus Syrah, PV, CS, Lagrein und Merlot: sehr würzig, starke Holundernote, schmeckt durch den Rebsatz französischer.

Brände höchster Fruchtdichte

Darf man circa 6280 von 6300 Ausstellern ignorieren? Darf man, die Destillerie Etter machen wir aber noch. Das sind Brände von höchster Fruchtdichte, an deren Nase man sich allein berauschen kann. Hier wird Obst 1:1 in die Flasche gebracht. "Wir nehmen das Herzstück vom Herzstück", sagt die junge Chefin Evelyn Galliker-Etter. Die Williamsbirne 2012 (44%) ungefiltert riecht und schmeckt intensiv wie eine Frucht, die man frisch vom Baum klaubt und aufschneidet. Nach gelagertem Apfel und reifen Apfelschalen duftet der Pomme Royale. Die Alte Quitte: trinkbarer Duft. "Wir nehmen jede Quitte einzeln in die Hand und entschorfen sie", sagt die Chefin. Sehr fruchtsüße, konzentrierte Nase, Vanilleanklänge, intensive Zitrusaromen im Abgang, sensationell! Wir machen artig einen Knicks und verabschieden uns aus der Hochmesse des Weins.
*Geschmackseindrücke wie beim Lotto immer ohne Gewähr; andere Weintrinker riechen und schmecken andere Aromen.

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