Noch’n Pilz?

Von Michael (Text) und Franz (Fotografie) – Es gibt Strecken, die hat man einfach unterschätzt. Ich rede jetzt nicht von zu lang, zu steil, zu …irgendwas. Nein, man hat von ihnen von vornherein wenig erwartet. Umso angenehmer gestaltete sich die kurze, knapp neun Kilometer lange Runde durchs Dortmunder Grävingholz.

Liegt es an einer „existenziellen Grenzsituation” – nein, wir sind nicht besoffen, wie Björn Engholm, der den Spruch auf eine persönliche Lage münzte, in der er sich mit zuviel Rotwein aus dem Spiel nahm -, in der ein überlasteter Kopf einfach mal dichtmacht wie ein Muskel beim Fußballer? (Nur zum Verständnis: Es gibt Befindlichkeiten, die spielen in unsere Geschichten hinein; wir werden aber den Teufel tun, sie hier breitzutreten.) Als uns die U41 an der Haltestelle Waldesruh ausspuckte, war es jedenfalls verblüffend zu erleben, wie die stadtnahe Natur mit ein, zwei lapidaren Inszenierungen einen verknoteten Geist wieder strackzieht.

Ein goldgelbbraunes Lichtspiel an jeder Ecke

Da! Da sind Hirsche! Nun ja, es ist nur Damwild und es steckt in einem Gatter. Schöner leben im Wald geht sicher anders. Aber das Wild ist es zufrieden und liegt mit bunt gesprenkelter Decke noch ahnungslos im Laub, denn auch seine Existenz ist bedroht. Die Stadtverwaltung Immerklamm will den Aufwand und die Kosten sparen, die sein ewiges Wiederkäuen im Süggelwald erfordert. Und da steht im hohen November noch’n Pilz, und zwar so schön und so schön fest vom Stiel und vom Hut her, dass man ihn glatt mitnehmen möchte – seine eindeutige Identität und Genießbarkeit vorausgesetzt.

Die Jakobsweg-Muschel wird fast an jeden Baum genagelt

So, ein paar mal geschüttelt wie ein nasser Hund sein Fell und die strubbelige Befindlichkeit legt sich wieder geschmeidig ums Wandergemüt. Der Tag meint es gut mit uns, erster Nachtfrost zwar, aber die tiefstehende Sonne zwinkert durch das Restblätterdach des Süggelwaldes und führt an jeder Ecke ein goldgelbbraunleuchtendes Lichtspiel auf. Wir lernen: Man muss immer wieder mal innehalten und den Augenblick genießen. Ein Kindergarten lärmt durch den Wald, die kleinen Stimmen ein fröhliches Solo auf dem Grundrauschen der nahen A2. Häufig  stoßen wir auf Plaketten mit der Jakobsweg-Muschel. Die Pilgerweg-Logos werden offenbar inzwischen auf jeden verfügbaren Baum genagelt.

Ein Turmfalke greift sich seine Beute

Hinter dem Grävingholz öffnet sich der Blick auf Dortmund-Holthausen im intergalaktischen Herbst 2014: unendliche Weiden… mit ebenso vielen Pferden (unbedingt recherchieren: War JR jemals in Dortmund-Juing?). Auf der Halde Ellinghausen wuchtet sich das Zentrallager von Ikea empor, vor einer Wiese von blühendem Raps und/oder Senf von Windspargeln wie Blumen umstellt. Das Geläuf ist eben, tief und nass, unsere Sohlen schmatzen im Morast. Ein Turmfalke greift sich sein Mittagessen, wir begegnen einer Frau mit zwei weißen Hunden, von denen einer „Asterix” heißt (wie mag sie wohl den zweiten rufen?) und plötzlich endet der Weg am Dortmund-Ems-Kanal, an einer abgerissenen Brücke. Der Wasserweg ist gesäumt von buschig getrimmten Buchen, deren letzte Laubblätter goldgelb wie kleine Fackeln glühen. Auf dem Kanal dümpelt ein Trupp von 40, 50 Kanadagänsen und das graugrüne Wasser sieht aus wie die Drau in Villach, wenn sie nach heftigen Gewittern in den Bergen viel milchigtrüben Gletscherabrieb führt.

Die Sonne blinzelt uns milde-nachsichtig ins Gesicht; später, zurück im Süggelwald auf einer trockenen Holzbank, blinzeln wir dankbar zurück.

Franz_Michael_klein

Der Weg wurde mit der App Outdooractive aufgezeichnet:

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