Wo der Horizont sich weitet

Von Gerald (Text + Fotos) – Drei Tage lang sind wir schon durchs malerische, blumenübersäte Val Anniviers im Wallis geschlendert und haben jeden Meter genossen. Dann, am vierten, wird es ernst, denn unser Ziel ist der Viertausender
Bishorn.

Vom beschaulichen Zinal im Talschluss, wo wir im Hotel „Le Besso“ gut gegessen und geschlafen haben, geht es morgens satte 1600 Höhenmeter hoch zur Cabane Tracuit. Kein Lift, keine Seilbahn, keine Zahnradbahn – da muss jeder Gipfel-Aspirant zu Fuß hin! Zum Glück geht es eine Westflanke hinauf und die liegt jetzt noch angenehm im Schatten. So haben wir bereits über 900 Höhenmeter geschafft, als gleich hinter dem Büffelpass der Frühstücksfelsen zur Rast einlädt.

„La reine d’alpage”

Vor uns breiten sich Hochalmen von Combautanna aus. Gedrungene Eringerkühe grasen in Rufweite. Es sind die friedfertigen Kampfkühe, die im Frühsommer die Rangordnung auf der Weide ermitteln, von ihren stolzen Besitzern „la reine d’alpage“, Alpen-Königin, genannt.

Wir lassen die grünen Matten hinter uns und kommen ins Geröll. Vor uns liegt etwas unwirklich die Tracuithütte wie ein Satellit. Der drei Jahre alte Neubau ist noch etwas näher an die Abbruchkante des Sattels gerückt als die in die Jahre gekommene Vorgängerhütte. Die letzten Meter im Fels werden durch eine Sicherungskette entschärft, dann ist das Etappenziel erreicht.

Faszinierende Gletscherwelten!

Was für eine geniale Lage! Aussichtsbalkon ist die schönste Untertreibung angesichts dieser grandiosen Umgebung. Um nur die markantesten Viertausender zu nennen: Bishorn, Weißhorn, Zinalrothorn, Gabelhorn, Dent Blanche und weiter westlich Grand Combin und schließlich der Mont Blanc. Und welch faszinierende Gletscherwelten säumen die Felsengipfel! Die Sonne brennt so intensiv, dass wir unsere Hemden über den Kopf ziehen. Das Auge kann sich einfach nicht satt sehen, zumal jetzt, am späten Nachmittag, auch noch vier Paraglider auftauchen und von der Thermik bis nahe an die himmelhohen Gipfellagen emporgetragen werden. Tatsächlich kommen die Akrobaten der Lüfte am Abend heruntergesegelt und landen auf dem Gletscher nur einen Steinwurf von der Hütte entfernt.

Über die Abbruchkante

Als Hüttenwartin Anne-Lise Bourgeois, die diese weltentrückte Herberge mit souveräner Übersicht leitet, ihre knapp 40 Kunden zu Tisch bittet, kommen die Vogelmenschen gleich mit herein. Die Panaromascheibe, unter der es unmittelbar 500 Meter in die Tiefe geht, kann die Flieger natürlich kaum beeindrucken. Als die Bergsteiger noch am Nachtisch naschen, ist es Zeit für die Gleitschirmflieger, sich wieder ihrem Element anzuvertrauen – und sich über die Abbruchkante zu stürzen. Mit ein paar kühnen Kapriolen direkt vor der Hüttenscheibe verabschieden sie sich schließlich.

Der Berg hat ein Einsehen

Das Abendrot zaubert das schönste Alpenglühen auf die Eisflanken, ehe es Zeit ist, in die Kojen zu steigen. Die Nacht ist kurz genug. Um zwei Uhr stehen die Weißhorn-Aspiranten auf, um vier sind die Bishorn-Alpinisten an der Reihe. Wer will um diese Zeit frühstücken? Ein Kaffee, etwas Müsli, dann werden die Steigeisen angeschnallt. Der Berg hat ein Einsehen. Absolut flach ziehen die ersten Meter gen Osten dahin. Schon bald kann die Stirnlampe ausgeschaltet werden, weil der Morgenhimmel sich bereits färbt und einen Traumtag verheißt.

Der letzte Aufschwung

Irgendwann, als wir längst warm gelaufen sind, steilt sich das Bishorn doch noch etwas auf. Seilpartnerin Hilde bleibt stehen und verlangt Schnaufpausen. Zeit, rechts und links zu schauen und zu staunen. „Ich glaub, ich schaff’s nicht“, meint sie etwas später. Aber da zeigt der Höhenmesser bereits 3900 Meter und wir sind erst gut zwei Stunden unterwegs. Natürlich schafft sie auch den letzten Aufschwung, wo alle Linien am Punkt 4153 zusammen laufen und sich der Horizont weitet.

Bravo! Ein Strahlen lässt alle Mühen vergessen. Gemeinsam macht so ein Erlebnis doppelt Spaß!

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Info:
Das Val Anniviers ist ein Seitental der Rhone im französischsprachigen Teil der Schweiz.
Anreise per Auto oder Bahn aus Deutschland über Basel, Bern, Lötschberg, Sierre.
Eine Übernachtung im Hotel Le Besso in Zinal kostet 60 Schweizer Franken (ca. 55 Euro)
Eine Nacht auf der Tracuithütte inklusive Halbpension 72,50 Franken für Alpenvereinsmitglieder, 86,50 Franken für Nichtmitglieder.
Info: 
Infomaterial für Wandertouren im Val Anniviers:  www.MySwitzerland.com ; www.wallis.ch
Kostenlose Hotline: 080010020030.

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